Kerstin Preiwuß
und der König verneigt sich ein wenig
und die Nacht kommt gewöhnlich zu Fuß
und vom Dach der Fabrik in den Fluß
leuchten zwei Schuh
verkehrt und noch so früh neonbleich
und der eine tritt uns das Maul zu
und der andere tritt uns die Rippen weich
am Morgen gelöscht die Schuhe aus Neon
und der Holzapfel launig der Ahorn errötet
die Sterne am Himmel fahren wie Popcorn
und der König verneigt sich und tötet
aus: Herta Müller: Im Haarknoten wohnt eine Dame. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 2000
Zu Anfang verneigt sich ein König und man möchte denken: Ist es königliche Höflichkeit, vielleicht eine Verneigung während einer Zeremonie? Ist der König huldvoll und erkennt mit leichter Verbeugung an, dass da jemand vor ihm steht, ein Gesandter vielleicht? Geschieht es jemandem zu Ehren? Wird jemand belohnt? Oder hat der König gar eine Niederlage erlitten und muss sich seinem Gegner unterordnen? Wie im Märchen scheint alles möglich bis zur letzten Zeile, die die Verneigung des Herrschenden in einen Mord münden lässt. So schlicht wie einschneidend steht im Gedicht, wie es ist, unter den Augen einer totalitär agierenden Macht zu leben, dass man Todesangst davor haben muss, allein ihre Aufmerksamkeit zu erregen. „Der Stadtkönig läßt sich seine Schwächen nicht anmerken, wenn er torkelt, meint man er verneigt sich, aber er verneigt sich und tötet.“
Herta Müller, die als Teil einer deutschsprachigen Minderheit in Rumänien geboren wurde und in den achtziger Jahren nach mehreren Todesdrohungen vor der Diktatur Ceausceşcus in die BRD floh, hat mit ihren Büchern diese Todesangst dem König vor Augen gehalten und erhält den Nobelpreis für Literatur. Das ist wundervoll.