Christian Lorenz Müller

Es gibt keine Leitungen, es gibt nur diese Kratzer über
der Kreuzung. Wer an der Haltestelle steht und kurz
hinauf in den Himmel schaut, sieht ein wirr zerschrammtes
Blau. Allein wer die Stromabnehmer der zufahrenden
Busse im Blick hat, kann die parallel verlaufenden Ritzen
und Riefen erkennen, die Scharten und Schrunden. Wenn
der Abend kommt, wird vieles deutlicher. Blenden die
Autos ihre Scheinwerfer auf, schimmern die Kratzer
plötzlich blank in der Dämmerung. Dann wird eine Ordnung
erkennbar, dann wird es leichter, den Schrammen
zu folgen, weg vom betriebsamen Platz, hinein in die
Nacht.

Beginn des Romans „Unerhörte Nachrichten“

10. August 2020 17:13