Sylvia Geist

Silicium

wandwuchs als
würde morgen mit sand geflogen und auf zukunfts
asche gesiedelt. silo schwebgarten

haus: jeder
aushub ein sog der möglichkeiten negativ einer lawine.
wen ließ los was

einmal rollte?
wann? vater lehm ist gesellig in den schachteln
den wohnhalmen wankt wind.

keine frage
gibt er lieber zurück als die von kies
im zement. rieselnd. silent.

3. Juli 2009 10:09










Hans Thill

Hans Test im Aquarium

In einer sonntäglichen Radiosendung zum Thema Tiefsee hörte Test den Reporter aus dem Aquarium von Neapel berichten, er habe unlängst Moränen dabei beobachtet, wie sie immer wieder in dekorativ am Grund des Aquariums ausgestreuten antiken Amphoren Schutz gesucht hätten, ein ständiges Hin und Her, bei dem oft nur ein Teil des Kopfes oder eine Schwanzspitze zu sehen gewesen wäre. Neben ihm habe ein älterer Tourist aus Berlin zu seiner Frau gesagt: »Kiek de Aale, immer mang de Pötte!«

7. Juli 2009 10:02










Kerstin Preiwuß

Den Vögeln ergeht es wie den Menschen: sie fangen an zu pendeln. Der Habicht brütet mittlerweile in der Stadt. Weil dort nicht genügend Platz für alle ist, wandern in der Stadt aufgezogene Junghabichte aufs Land aus, um dort ein Jagdrevier zu erobern. Manche Habichte allerdings entscheiden sich für beide Lebensräume. Sie pendeln zwischen Stadt und Land. Ein Habichtmännchen aus einem Hamburger Park sieht man regelmäßig bei Jagdausflügen in Wald und Feld der Umgebung.

8. Juli 2009 15:55










Thorsten Krämer

Interiors

Nennen wir es eine fraktale Ästhetik, dieser bis ins Kleinste verfolgte Wille zum Design, die immer neuen Oberflächen. Die Kippschalter aus Bakelit, die Tischlampe im 70er-Jahre-Orange, der Plattenspieler, dessen Optik noch aus einer Zeit stimmt, als Scratching gerade erst erfunden wurde. Auf dem niedrigen Regal ein großformatiges gerahmtes Plakat, das den Elvis-Kult ins Pixel-Zeitalter überführt: verschiedene Plattencover, aufgelöst in Farben und Bildpunkte, übertragen auf neue Produkte wie Schachteln und T-Shirts, irgendwie cool und irgendwie clever. Dahinter der Sichtbeton, davor das Fahrrad als Kunstgegenstand, mit abgeschraubtem Sattel und Schottenmuster-Hülle für die Mittelstange. Durch die Speichen hindurch sind die Bücher im Regal sichtbar: Bildbände über Design und moderne Architektur, die passenden Zeitschriften ordentlich gesammelt in neutralen Pappschubern. In einer der nächsten wird auch dieser Raum enthalten sein.

11. Juli 2009 12:49










Gerald Koll

Vier Minuten

gearld1

> ALL TOGETHER NOW

11. Juli 2009 19:39










Björn Kiehne

Meerblau

Ich will das Meer,
den Wellenschlag in
deinen Augen.
Ich will ganz
Ozeanien auf meinen Schultern,
salzige Flügel, ein Leben in Meerblau.
Ich will, wenn der Wind sich dreht,
am rechten Ufer warten,
warten auf deine Möwenarme,
die den Walschrei tragen,
in einer Silberschale
aus Gischt.

12. Juli 2009 12:39










Mirko Bonné

Auskünfte einer Echse

Im New Yorker Metropolitan Museum

Was bist du für ein merkwürdiges Ding,
dort auf dem Fuß dieser Marmorfigur?
Sie hat keinen Kopf und keine Arme,
aber Brüste, eine Scham, und steinern
schimmert alles durch Gaze aus Stein.
Würdest du mich ansehen statt nur sie,
du wüßtest, was ich bin.
Du scheinst mir
eine Eidechse zu sein, aber eine blaue?
Ich bin ein Gecko. Richtig, ein Gecko,
allerdings aus Plastik. Was tust du da,
auf dem Fuß von – wer ist sie? Aphrodite.
Ganz Kluge nennen sie Venus Genetrix.
Was soll ich schon tun? Ich liege, warte,
und ich bin nicht aus Plastik.
Sondern?
Aus Gummi. Darf man dich anfassen?
Mich ja, sie nicht, sonst kommen Wärter.
Ist sie sehr alt? 1900 Jahre, fast. Und du?
Fabrikware, Shanghai. Da ist nichts alt.
Wer hat … sie geschaffen, meinst du?
Lies, was da steht.
In Bronze goss sie
Kallimachos etwa 500 v. Chr., in Stein
kopierte sie ein Römer, wer, unbekannt.
Sie wurde oft kopiert, jedoch nicht so oft
wie ich. Mich gibt es acht Millionen Mal,
ungefähr.
Wer hat, wollte ich wissen, dich
hier liegen lassen? Ein kleines Mädchen.
Bestimmt weint es jetzt. Mandy Polasky?
Nein. Es war ihre Entscheidung. Aphrodite
sollte nicht einsam sein, und in dem Kiosk
im Bronx Zoo kauft mich ihre Mutter neu,
keine Sorge.
In der Bronx? Für drei Dollar
gibt es mich in jedem Zooladen zu kaufen.

Hergestellt wirst du für 10 Cent, mehr nicht,
schätz ich. 13 Cent. Die Verschiffung treibt
den Preis in die Höhe.
Geckos fliegen nicht?
In Schiffscontainer passe ich eine Million Mal.
Warum sieht dein Schwanz wie ein Blatt aus?
Weil ich ein Blattschwanzgecko bin. Nie gehört?
Nein. Uroplatus. Irgendwie kann ich die Augen
nicht von ihrem Umhang lassen. Ganz als wäre
die Luft ein Windhauch aus Stein. Ist ihr Chiton,
das Unterkleid. Früher, als sie noch Hände hatte,
hob sie den Zipfel ihres Umhangs, den Himation,
mit der Rechten an.
Und ihre Linke? Die hielt –
was wohl?
Einen blauen Gecko. Einen Apfel.
Ob sie wohl je so was wie dich gesehen hat?
Blattschwanzgeckos leben auf Madagaskar.
Du hast Schlitzpupillen. Um die Zeit die Welt
zerteilen zu sehen.
Und kugelförmige Zehen!
Sind Haftzehen. Würde ich leben, ich könnte
am Fenster Gottes kleben und schlafen, blau,
wie ich bin.
Ja, warum bist du eigentlich blau.
Blick durch die Urwaldwipfel auf Madagaskar,
und, was meinst du, sieht man am Horizont?

Noch mehr Wald? Afrika! Den blauen Ozean.
Komm, ich nehm dich mit, ich bin aus Europa,
von Hamburg ist es nicht weit bis nach Athen.
Lass mich liegen, ich warte lieber. Auf wen?
Etwa Mandy Polasky? Worauf auch immer.

*

13. Juli 2009 11:58










Andreas Louis Seyerlein

~

0.02 – Kurz nach Mitternacht, das Ende eines federleichten Tages, an dem ich, gegen den Morgen zu, eine feine Geschichte erlebte. Das war nämlich so gewesen, dass meine Hand, meine rechte Hand, während ich schlief, das Bett verlassen hatte. Sie schwebte, indem ich träumte, von einem Gewitter angerufen worden zu sein, fast bewegungslos über dem Boden und wurde in dieser Haltung nach einer Erinnerung zärtlich fotografiert, weil ich vor einigen Monaten notiert hatte, dass ich, wenn ich sage: meine schlafenden Hände, von Händen spreche, die ich nie gesehen habe. Dieser Satz ist nun natürlich nicht ganz unwahr geworden, weil ich immerhin noch keine Ahnung habe, wie meine linke Hand aussehen könnte, während sie schläft. Außerdem habe ich meine schlummernde Hand nicht selbst gesehen, mit eigenen Augen, wahrhaftig, in echter Zeit, sondern zeitverzögert und durch das Auge einer Kamera gebändigt. – Stunden voll Freude vor mich hin gestaunt.
schlafhand

> particles

15. Juli 2009 16:21










Carsten Zimmermann

kopfloses selbstporträt mit wasserglas

ksmw

15. Juli 2009 17:12










Hans Thill

Kulinarisches Aquarium gesehen mit den Augen von Marion Poschmann
und mit der Hand von Anja Stehling

und mit der Hand von Anja Stehling

16. Juli 2009 11:30










Hartmut Abendschein

Martin Walser im Bodensee (Untersee)

(Jugendbild, Scan)

16. Juli 2009 22:45










Andreas Louis Seyerlein

~

0.02 – Wie würde Hannah Arendt über das Wagnis der Öffentlichkeit formulieren in unserer Zeit, in einer Zeit, da Menschen ohne jede Scheu und in gut begründeter Voraussicht, zutiefst verletzt zu werden, mit Worten, Bildern, Filmen öffentlich in intimste Winkel ihrer Seelen leuchten? Einmal, als Computer noch mittels Transistorröhren rechneten, bemerkt sie mit ihrer tiefen, rauen Stimme, das Wagnis der Öffentlichkeit sei für eine Person nur möglich im Vertrauen auf die Menschlichkeit der Menschen selbst. /

montauk

> particles

18. Juli 2009 20:58










Hartmut Abendschein

Ferme Lachat sur Moron

Saint Brais. Der Schriftsteller Fritz Michel (Quartettfritzli) holt uns mit dem Fahrrad ab. Man übernimmt uns die Hälfte des Gepäcks. Und auch des Laufbiers. Man schwitzt in untergehender Sonne. Sinnt über: Redrum. Shining. In a cold blood. (Was brennt denn da? Eine Strassenlampe?. Ja, eine Strassenlampe. Was sollte es denn sonst sein. Als eine Strassenlampe. Richtig! Eine Strassenlampe usw.)

Und: Wir haben wieder bis zur Schrift geraucht, wie man hämisch bemerkt.

Aber: wir entwickeln das Nicht-Paradigma Alltag / Urlaub, setzen strukturell ausser Kraft, beispielsweise: eine Wanderkarte heute zu lesen findet analoge Entsprechung in Arbeit, reproduziert Mechanismen des Alltags, macht in der Anderzeit heimisch, stattdessen: Pilze fressen. Liegestühle aufstellen. Beach boys hören. Undsoweiter.

Im Jura darf man das:
Pferdeschnitzel
Pusteblumen
Sauerampfer
Brennnesseln

Konkret:
Baumstümpfe
gesägtes Holz
halber Mensch

(Wir stocken das Hausfliegendepot auf und teilen die Zeit ein. Der Vormittag dir. Der Mittag mir. Der Rest dem Rest. Und die Nacht.)

Nebenbei: die Arbeit am Modus nun entstehender Schrift findet vor Zäunen statt. Dort sitzt ein Kind tagelang und staunt über Kühe. Die staunen zurück usw.

Und: Michael Endes zeitgemässe Kindermedientheorie. Frau Waas zu Jim: „Mach doch mal das dumme Radio aus“. Jim zu Frau Waas: „Ein Radio kann doch gar nicht dumm sein! Höchstens das, was gesendet wird.“ Jaja, der „häsliche Rundfunk“. Der „herrliche Rundfunk“. Die besten Zeiten …

Und: There ist no hardware.

(Wir sprechen weiter über die Kinder- und Puppenfilme der 70er Jahre. Wir entdecken dort noch die Möglichkeit, in den Bildern verharren zu können. Die nur allmähliche Verplottung von Bild. Der Tanz um und die Tendenz zur Skulpturalität von Erzählung. Die Schöpfung von momentartigen, aber haltbaren Gebilden. Heute müssen wir sehen: schnelle Handlung ohne Kette. Spielkonsoliges. Luftigkeiten. Ephemera.)

Und noch einmal: Diachronie vs. Synchronie. Rezeptionsverschiebungsthesen. Man beobachtet vermehrt diachronen Konsum zuungunsten von tiefenstrukturellem Schnickschnack. Wir nennen das neutralerweise mal so. Neutral also auch: einfach alle Combattanten zu beleidigen. Fritz Michel entwickelt zum Frühstück abweichende Eigenthesen.

Noch dieses: wer auf sprachreflexiver Ebene arbeitet … weiss automatisch um die Unzulänglichkeit von Realität. (Die Pilze, denken Sie nun vielleicht? Weit gefehlt!) Man macht sich ständig bewusst: die meisten konventionellen Erzählformen sind ganz unsinnige und überflüssige Gebilde, da sie nur Realität zu reproduzieren versuchen: als Begleitwerk zur Realität. Als auktoriale Realität, die Wasweissich verbürgen soll. Der Autor aber ist nicht einmal tot. Er ist reine Sprache.

[notula nova supplement Va]

20. Juli 2009 08:38










Thorsten Krämer

Interiors

Die Technik überwiegt in diesem Raum. Rechter Hand ein niedriges Fernsehregal; jedes der vier Fächer ist mit einem Gerät belegt: VHS-Rekorder, CD-Player, DVD-Rekorder, Cassettendeck. Selbst auf dem Fernseher (ein altes Röhrengerät) steht noch der Receiver, auf dem Boden davor liegen die Controller einer Playstation. Zu beiden Seiten Lautsprecher auf silbernen Metallsäulen. Linker Hand der Arbeitsplatz, mit Kunstlederdrehstuhl, Rechner, Monitor und Telefon. Dahinter an der Wand ein Buchregal, in dem nur wenige Anleitungen und Handbücher stehen. Der Elektronikpark beherrscht den Erker dieser Altbauwohnung; durch die im stumpfen Winkel zueinander stehenden Fenster fällt das helle Morgenlicht – zumindest dort, wo die Jalousien nur zur Hälfte herab gelassen sind. Inmitten der Geräte, die fast durchgehend in Schwarz gehalten sind, steht auf einem kleinen Tisch eine Topfpflanze, eine Art Azalee. Um den Topf herum einige Steine, als hätte der Bewohner (kaum vorzustellen, dass hier eine Frau wohnt) einmal in einer schwachen Stunde einen flüchtigen Blick in einen Feng-Shui-Ratgeber geworfen. An der Wand gegenüber ein altes Sofa, in pflegeleichtem Grau gehalten. Die Zeit vergeht hier sehr langsam, aber sie vergeht.

21. Juli 2009 15:17










Sylvia Geist

Gewendetes Gelände

© Kai Geist

22. Juli 2009 19:51










Marjana Gaponenko

Piotr I

Der Teich

Du betrittst dieses Zimmer, du verlässt es,
du wanderst hindurch, fällst in die Tiefe,
rast in die Höhe, während du sprichst
Unaussprechliches; lautlos bewegst du den Mund,
als würdest du beten um Regen.
Und schon schielt er tausendäugig auf dich
und steigt die Stiegen hinab. Fuß um Fuß, Ton um Ton,
immer höher, um auf dem eigenen Blick auszurutschen,
dem zu Boden geworfenen. “Vater, wir bitten …” sagst du.

Kind, dich sah ich in der letzten Reihe sitzen,
frisch und süß, die Kirchenbank, dein Hemd, dein Haar …
Ob es schon morgen war? Ob es noch gestern wird?

Es blätterte dein Buch in sich, strich übers Fell sich selbst
von A bis Z, von E bis X; ein Nesselfalter saß auf Seite 4.
Den Kopf an einen Baum gelehnt – du selbst.
Dein Traum sprach auf der Schulter sitzend dir ins Ohr:
“Mein Kind, steh auf, lauf in den Wald –
da wächst ein Wunderkraut – lauf ins Feld!”

Dich sah ich im Gestrüpp am Teich;
Auf warmer Erde lagst du lang und sangst:
“Steh auf, mein Kind, lauf in den Wald, ins Feld ..”
Der Regen kroch aus Löchern hervor.
Er starrte wie erstarrt zu dir hinab,
er schaute aus dir selbst zu sich empor .

Dich sah ich stehen vor dem Haus.
Ein Blitz tanzte einbeinig darin.
Dein Auge, so hell in der Nacht,
dein Mund, gebissen vom Mond,
sang “Steh auf, mein Kind“.

24. Juli 2009 10:14










Hans Thill

was man weiss – was man wissen sollte

Mundorgel: Madagaskar

In den Kesseln da faulte das Wasser
und täglich lag eine nasse Hand über
eng gepflanzten Zelten Thermidor
Fallwinde Halsknoten Köpfe unter
einem gestrafften Stück Stoff Raupen
vom Blattwerk beschirmt oben ein
Düsenjäger (ahoi) holte Fahnen
aus der Luft. Wir verteilten das Gift
in Tropfen ein feiner Nebel gegen
den Fraß am Laub unseres Brotes

25. Juli 2009 11:49










Björn Kiehne

Wellen

Gedanken,
Fischschwärmen gleich,
aussenden.
Silberschillernde Pfeile
durch blaue Ozeane
schießen:
Hai und Kugelfisch,
Delfin und Schlange,
Gift und Nektar,
Meerjungen,
Seetangweisen,
Muschelgeister –
Wellenlieder singen.

26. Juli 2009 14:43










Martin Zingg

Gewinnmitnahme

Am schönsten Schuld ist Glück,
doch weiss ich das, dieweil
ich schuldig bin, noch nicht,

später, wenn ich davon erzähle,
weil es mir fehlt, im Rückspiegel
erst wird die Schuldigkeit sichtbar,

später, wenn es mir fehlt,
weil ich davon erzähle,
ist Schuld am schönsten Glück

27. Juli 2009 11:24










Kerstin Preiwuß

Brennstoff

Unser Haus ist von Geistern bewohnt, sage ich zu Hanna, aber sie schickt mich nur wieder nach Holz. Das ist ein längerer Weg, zum Holz und zurück, Hanna weiß das, ich habe es ihr schon oft gesagt. Wo gehobelt wird, da fallen Späne, so steht sie oft in der Küche, nimmt diesen Satz in den Mund und lutscht an ihm wie an einer Kirsche. Ich weiß nicht, wie das weitergehen soll mit all dem Holz, schon starrt es aus seinen Klaftern verschlagen nach mir, aber kein Tag gleicht dem anderen, sagt Hanna dann, wenn ich die vielen Mieten erwähne, die ich geschlagen habe, einmauern könnte man einen damit, aber es gibt auch eine andere Wärme, wenn es verbrennt.
Unser Haus ist von Geistern bewohnt, sage ich zu mir, und bin schon auf dem Weg zum Holz. Hanna ist ein Mutterkind, ein Muttertier, sagt sie selbst. Mitunter spricht sie unsere Kinder an wie jemanden, auf den man zählt. Den man erzählen muss, dann ist er in der Welt: Erst kam der Älteste, mit Schmerzen, dann kam die Mittlere, mir zur Hilfe, und zum Schluss der Jüngste, wie nebenbei. Wuchsen alle drei ganz regelmäßig heran, erst ging der Älteste zur Schule, dann ging die Mittlere ins Internat und unser Jüngster lernte aus. Flogen schließlich alle aus dem Haus: den Ältesten hat es in die Hauptstadt gezogen, die Mittlere an die Küste verschlagen, den Jüngsten in den Betrieb im Nachbarort. Ob man seine Kinder gut erzogen hat, erkennt man daran, dass sie sich in der Fremde bewähren, sagt Hanna immer dann, wenn sie ans Ende ihrer Aufzählung gelangt. Ich habe meine Kinder gut erzogen, den Ältesten mit Schmerzen, die Mittlere mir zur Hilfe und den Jüngsten nebenbei.
Unser Haus ist von Geistern bewohnt, sage ich zum Holz, wir schlagen doch nicht aus der Art. Dabei splittert es auf unter meinen Hieben und zerfällt zu Scheiten, mit denen ich Hanna und mir einheizen kann. Manche Scheite behalten ihre Augen, die darfst du nicht einmieten, die musst du mit dem Gesicht nach unten in die Kiepe legen, schärft Hanna mir jedes Mal vor dem Holzhacken ein. Die haben etwas gesehen und wir verbrennen sie immer sofort.

27. Juli 2009 13:24










Nikolai Vogel

Sehen, gesehen werden

Die vergessene Brille, über Nacht durch den Regen vom Festland genommen, mittags gefunden im Flussbett der Isar …

Die ausgedruckten neuen Passbilder, zugeschnitten von allen vier Seiten, verbergen sich noch, verlegt, schon bevor sie amtlich wurden …

30. Juli 2009 01:23










Björn Kiehne

Planet der Affen

Berlin, soviel Sonnenbrille war nie!
Halb Europa auf die Bürgersteige gekippt.
Alle sind irgendwie schwanger,
tragen den Sommer unter milchleeren Brüsten.
Friedrichshain setzt die Sonnensegel,
bläst würzigen Rauch ins grelle Licht.
Überall Ich! Ich in den Morgenstunden, Ich in der Stadt,
Ich am Nachmittag, Ich in der Nacht.
Und: Ich tätowiert, Ich ganzkörperrasiert;
und: Hier ein Weibchen und da ein Kerl;
und: Uh, uuh, uuuh durch die Straßen ziehn,
Planet der Affen – Sommer in Berlin.

30. Juli 2009 23:29