Christine Kappe

Die Teebaumgesellschaft

Bei einem Spaziergang durch die Stadt entdecke ich in einer schattigen Seitenstraße einen kleinen Buchladen, der mir nie zuvor aufgefallen ist. Ich gehe hinein und frage mich, warum es hier kein Licht gibt; aber dann sehe ich, dass es nur kaputt ist, denn ab und zu leuchtet schwach eine Neonröhre auf. Als ich mich an das Halbdunkel gewöhnt habe, erkenne ich, dass es in diesem Laden nur Taschenbücher gibt. Eins davon habe ich geschrieben. Wie der Klappentext mir verrät, handelt es von meiner Kindheit. Es trägt den Titel „Die Teebaumgesellschaft“. Ich muss meine Augen sehr anstrengen, um etwas lesen zu können. Der Text ist aber recht überschaubar. Die Mutter in der Geschichte sagt immer bloß ‚brrr‘, der Vater ‚frrr‘. Kein Wunder, erkenne ich doch auf einer Illustration meine Mutter, wie sie das Hemd von Vater bügelt – nackt, da friert sie natürlich. Und Vater friert ja, weil er das Hemd nicht anhat. Ob ich das Buch kaufen soll? Aber dann lasse ich es sein, grüße den Ladeninhaber, der seit meiner Ankunft in der Nische seines Verkaufstresens telefoniert und gehe wieder auf die Straße.

2. Juli 2013 11:44










Mirko Bonné

Feuer, 1979

Den Komposthaufen abzufackeln, kam er mittags aus dem Haus.
Er schritt mir quer durchs Spielfeld der bepflasterten Terrasse
mit geballter Faust und in der Linken einer grünen Flasche:
Traumtanz-Endspiel. Kick du mir noch einmal eine Scheibe ein!
Mein Vater stapfte übers Gras davon, auf dem im Schattenkäfig
wie verkohlt starr mein Kaninchen saß. Es war sein letzter Sommer,
ehe es verschwunden blieb, ein Bussardopfer, stumm und schwarz.

Aus diesem Garten trat ich einmal einen Elfer in das Treibhaus rüber
und hör immer noch die Scheiben splittern. Aus der Küche wie von weit
Musik. Und Klirren. Mitte Juni. Meine Mutter wusch da ab, Libellengläser
von dem Gartenfest am Tag zuvor. Mein Vater stand vorm Kompost,
er goss Spiritus darüber, nahm die Schachtel aus der Hand, er sah
lang in der Faust das Zündholz an, den Schlüssel eines Höllentors.
Ich dribbelte. Ich sah ihn dastehn, überlegen, ob er werfen sollte.

Ich sah Feuer, einen Drachen, Schwall aus Licht und gleißend
Tier, das ihn verschluckte. Es war windstill. Aber in dem Lodern
schien der Wind zu leben, heiße Flagge, gelb, rot, bläulich grüner
Krieg, ein ungeheuer böses Glück, das sich an meinen Vater lehnte,
Pferd aus Flammen, das ihn mit sich riss, obwohl er stehenblieb, so
reglos war wie ich. Wir standen beide da, er brannte lichterloh,
ich brannte innerlich. Und aus der Küche wie von weit Musik.

*

15. Juli 2013 15:49










Sylvia Geist

Vor der Prüfung

Der Kopf meines Vaters
lag auf dem Wasser,
schwer von Notfallplänen
gegen die Enttäuschung,

die ich ihm bereiten musste,
und nickte im Minutentakt:
zehn, dann hast du es. Rufe
aus der nächsten Bucht,

Licht wie Heu, Ruderer
beim Wenden. Nicken.
Ich hörte auf zu zählen,
paddelte, ein Otter,

bis über die Ohren
verliebt in die Azurjungfern
an den Schildern
vorbei in die Gezeiten,

die von Kaffeedampfern
über die Havel heran
schwappten, und aus
Vaters Mund: null.

Ich wusste das nicht, aber er
sah das Schiff ins Schilf,
mein Fell davonschwimmen,
in jeder Muschel die Turbine.

29. Juli 2013 19:56