Andreas Louis Seyerlein

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1.58 — Ich stelle mir eine hand­li­che Box vor, nicht grö­ßer als eine Streich­holz­schach­tel. Wenn ich diese Box öff­nete, würde 1 Stunde der Stadt New York in ihr fest­ge­hal­ten sein, jeder Mensch und jeder sei­ner Atem­züge, Gedan­ken, Gesprä­che und Wün­sche. Auch alle gro­ßen und klei­nen Häu­ser, Stra­ßen, Züge wären ver­sam­melt, das Licht und seine Schat­ten, Vögel und Wol­ken, das Was­ser der Flüsse, das Meer, das Lachen der Kin­der, und jede der Beckett­ge­stal­ten, die mir begeg­nen, wohin ich auch geh. Könnte zufrie­den bald in einem Park sit­zen und war­ten, 1 Stun­den­zeit in der Hosen­ta­sche. Auf dem Tisch eine Traube, mein Blick ruht sich aus. Dann wie­der gehen, Stunde um Stunde gehen und schla­fen, schauen und zugleich nicht schauen, kurze Bli­cke, Sekun­den­bil­der, Augen geschlos­sen, Bli­cke durchs trans­pa­rente Lid abends auf der gro­ßen alten Brü­cke mit der blät­tern­den ros­ti­gen Haut, das Vibrie­ren der Schritte, der Stim­men auf höl­zer­nen Ste­gen von Insel zu Insel. — stop

> particles

1. April 2014 17:02










Andreas H. Drescher

EIN ENORMES PFERD

Ein enormes Pferd
Mit abgeriebenen Augen

Ins Salz seines eigenen
Schattens gestellt

Zwischen all s
eine Richtungen

Der verhärmte Greis darauf
Ist kaum zu sehen

„Was geht über ein grünes Auge?“,
sagt er:„Und ein blindes!“

Das stößt ihn auf Trab
Das stößt ihm auf vor diesem Nichts aus Heu

So ritt er aus
vor Tagen schon

V
O
R
T
A
G
E
T
R
A
G
E
N

2. April 2014 23:03










Markus Stegmann

een herodes herd

Mit überlieferter Axt Stufen
aus Pferd in die Dünen schlug der
Wind rückte niederländische
Schifffahrt mit Ross und gedanklich
geschlagener Barkasse Banane
indonesische Sicht im indisch
irgendwie gedächtnislos
Herodes‘ Herd dachte ich klanglich
Klavier mittels Stimme veränderlicher
Silhouette unterhalb der Dünen
im Halbdunkelgrau eines müden Mittags
am verstimmt verstimmten
Klavier lehnte sie so sagte
sie mir wäre wenn nicht
immer schon so
als sei es
von vornherein
so gewesen

Good bye Hoek van Holland

8. April 2014 21:52










Markus Stegmann

Rückfront

Ungünstig gebückt
füllt kauernd er
Sprit mit
daneben hockendem
Kind Kunststoffschlauch
vor der Bühne
Rückfront
aus Altwagen Sonne
überblendet den Rost
die verblichenen Bleche
vertrocknete
Wiese als Halbkugel hält
mir immerhin die Reifenprofile
auf Abstand

Zu Jeff Wall: Siphoning fuel, 2008

16. April 2014 21:34










Mirko Bonné

Schwarze Fische

Die Welt löst sich ab, und die Leute
verschwinden. Was sie umgab, findet statt
genauso ohne sie. Dafür such du dir ein Bild.
Meer schwarz, Rumpf schwarz, aus dem Hellen
stürzen entsetzt in die Sitzreihen geschnallt
Schatten in die Schatten, Wälder, Wellen.

Und du lebst. Da, das getigerte Tier,
blasser Katzenscherenschnitt zwischen
Vorhang und Fenster, durch das Licht fällt.
Der warme Märznachmittag auf den Tischen,
alle Worte auf und davon auf einem Wind
und du dir selber ferner als Malaysia.

Verbinde die Bilder. Verbind sie innig.
Keine Angst umgibt dich wie ein Stein,
nichts schließt dich ein. Nur du dich aus.
Halt fest. Halt fester, heiter. Solche Schwärze,
die gibt es noch nicht mal bei den Fischen.
Sie staunen, stehen still. Und entwischen.

*

20. April 2014 18:12










Andreas H. Drescher

DER SÜDEN I

Nun steht der Süden selber auf aus seinen Garben, um uns die Bierbänke unter den Ärschen fortzuziehen. So werden wir zu Helden unserer Fluchten. In Booten aus Garben, Kähnen aus Garben, Dampfern aus Garben, die sich selbst ausbrennen. So kommen wir doch noch unter die Wolken. Als Dampferschornsteinfunkenfunkeln. Steuerbefreit und endlich losgekommen. Das ist er, der gerechte Dank für all die Wohltaten, die wir ihm schon früh erwiesen. Schließlich haben wir aus seinen Garben den Hopfen unserer Altstadtfeste gedroschen. Da sind sie, unsere Deutlichkeit und unsere guten Taten: Bierstände mit und ohne Pfand. War denn der Vordersteven unserer letzten Fahrt schon durch den bauchigen Schein unserer Halbliterhumpen zu sehen? Lag unser Fahrzeug da schon fest vertäut hinter dem Hafenhaferschaum? Vielleicht. Vielleicht war der Bauch des falschen Dampfers unser Bauch. Allein ist unser Bierstandkreis also, vollkommen allein.

24. April 2014 00:37










Markus Stegmann

Der Süden II: weiter östlich, südnördlich vielmehr

Vollkommen allein, vollkommen, Planken, Partitur, die weder Floss noch die gelenkigsten unter den Toten waren, im Anschlag vielleicht, ohne südlicher, sagst du, weiss nicht, südnördlich womöglich, eher sie, als wir, lokale Parteiflagge flammt gerade der erschrockenen Gesichter länglicheres Leben, wieviele seid ihr? Sammeln sich im Windschatten, so monoton, fürchte ich, steht das irgendwo halbschriftlich, bleib, beunruhige, im Liter der Kanne. Wessen? fragst du, wessen gute Schlucht bewegt mein Kapitel vor dem Mond, Mund, merklich wanderten wir östlicher, nein, eher südnördlicher ging das, wessen Richtung, fragst du, die zwischengelagerten Toten, die wieder beginnen zu zweit, zu dritt zu singen: sonderliche Attrappen. Papa, da sind Männer mit. Mit was, mein Sohn, sag rasch, sehe nichts. Die haben… , was, sag schnell. Höre was wie Werfer, Munitionen. Kann nichts hören weder Herde noch Hand, sag, was sagst du mir? Schmetterte Pfeiler, Pilaster, Papiere: an der Südgrenze tausend Soldat, tausend Raket, tausend, mein Kind, was siehts du, was?

24. April 2014 21:09










Mirko Bonné

Aufwachen in Melbourne

Das ist also Melbourne: am Morgen
   getaucht in ein Hellblau, das herab-,
auf die Dächer heruntergefallen scheint.
   Kräne, Blätter hochwirbelnde Straßen-
bahnen. Vorbeirauschen kahle Platanen.
   Und Gottes Atemwolken ziehen nord-
wärts nach Wagga Wagga.
                                           Die längsten
   denkbaren Finger öffnen das Schließ-
fach des Himmels, bis es taghell wird,
   so schnell, dass du erschrickst Ecke-
Swanston-und-Franklin. Rede nicht nur,
   bloß um dich umzudrehen und wegzu-
gehen. Sprich mit ihr.
                                   Sie ist ein Regen,
   die Welt, und liebt die fünf Sinne. Über-
schwemmt dich. Ist zartfühlend, ist schroff
   oder Buschfeuer. Sie kommt durch die-
ses Fenster, in deine Augen, mit allem
   Licht erwartet sie dich an deinem aller-
ersten Aprilherbstmorgen in Melbourne.

Für Emma Lew

*

26. April 2014 08:57










Markus Stegmann

Faden

Bühne das Bad im
Freien gläsernes Licht
Wasser flieht aus der
Zeit der Blick rutscht
im Dunkel schwärzer das
Grün des unantastbaren
Gartens Traumgewächse
Irrlicht Faden deines Halses
Asche Arme Körperlose
zwischen den
blendenden Konturen
verfliessen sie
im silbrigen Licht

Zu Cornelis van Haarlem: Bathseba im Bade, 1594

26. April 2014 20:23










Christine Langer

Verweilen

Worte wie Staub
In der Luft
Wenn du sie aussprichst
Wachsen sie mir zu
Wandeln sich zu einem Gewicht:
Gedicht
Der Leichtigkeit

Von Nähe zu sprechen
Bedeutet genau hinzusehen
Zu verweilen in dir in mir
Dem Atem zu folgen
In verborgene Tiefen
Wo das Dunkel die Augen öffnet
Für genaueres Sehen

30. April 2014 11:27










Thorsten Krämer

Nashville, Tennessee

Von Parkplatz zu Parkplatz, lost in
transition
: Für den Passanten beginnt die Dichtung
beim Aussteigen. Die Zielgerichtetheit der Schritte sei

dagegen eine Fehlinformation, ein Ablenkungsmanöver
ungewissen Ausgangs. Oder ist das Gehen gar nicht die
Bewegung, nur deren Auftakt? So sagen es

die rhythmisch leicht Beschränkten, die sich im
Sicheren wiegen. Doch sie irren. Da ist kein
Überblick, kein Handlungshorizont. Bloß diese

fatale Neigung zur Halbtotalen, ein Fußabdruck
im Hirn.

30. April 2014 14:26