Tobias Schoofs
in einem früheren leben
war ich ein fresko darauf:
der engel erscheint zacharias
und die stifterfamilie stand
in gruppen zusammen
hielt andacht und scherzte
jetzt hab ich weniger glück:
ich bin ein paar zeilen
die keiner kennt ich bin
dem trinken früh verfallen
und lasse mich treiben
1. April 2015 22:58
Thorsten Krämer
Amor aus Messing, ein ästhetischer Fehlgriff
auf dem Tisch. Aus Anlass dieser Zusammenkunft
wurden bereits im Vorfeld zahlreiche Ablenkungsmanöver
konzipiert. Die adventöse Totenruhe. Klamme Finger
finden den Weg in ein anderes Licht, bildschirmhell
blitzen klandestine Identitäten auf. Kaffee und Tee
konspirieren zu einem Konzil der Wachhaltetechniken.
Und das Radio singt: Everything’s gonna be OkCupid.
11. April 2015 17:49
Gerald Koll
… nie privat ist.“
Lieblingsstelle aus dem Leitfaden für Britische Soldaten in Deutschland 1944 (aus dem Englischen von Klaus Modick. Kiepenheuer & Witsch. Seite 58).
12. April 2015 21:23
Christian Lorenz Müller
die Magnolie auf der Verkehrsinsel
ihre Blüten öffnet, Nester fürs Licht;
wenn die Ampel frühjahrsfarben leuchtet
und niemand Anstalten macht,
die Straße zu überqueren;
wenn die Marmelade
auf einem Frühstücksteller im Café
rot aufblüht und die Fliege
des Kellners zu summen beginnt;
wenn die Sonne die Gleise
so blank und glatt geleuchtet hat,
dass der Zug nicht abfahren kann
und der Schaffner
eine zwitschernde Amsel im Mund hat;
wenn der schwarze Eiszapfen
des alten Romamusikers
zu Klarinettentönen zertropft
und die Zymbalklöppel springen
wie zu früh geschlüpfte Heuschrecken;
wenn der Poet vergisst,
dass Euphorie und Ideen allein
eigentlich noch kein gutes Gedicht machen;
wenn
13. April 2015 14:21
Claudia Gabler
Ist wirklich alles durch Beatmung begründet? Und was alles
zwischen der Erde und dir bleibt eigentlich unausgesprochen?
—
Schau, es ist doch nicht nur lustig
mit der Vollendung.
—
Nun ist schon wieder eine Sekunde vergangen,
in der du kein Gedicht geschrieben hast.
—
Schau, wie Personen reden.
Wie die Dinge reden.
—-
Schon glitzert die Künstlichkeit
und raubt dir den einen oder anderen Stern.
—-
Nach dem du greifen wolltest,
wenn die Balkone gestrichen sind.
14. April 2015 12:57
Mirko Bonné
Immer unverblümter, diese wilde Lust,
alt zu sein! Vorauseilender Gehorsam
eines dreibeinigen Terriers im Nebel.
Man hamstert die Weisheit mit jedem
an den Gaumen gepressten Schluck.
In Köln hörte ich einen Straßenkehrer,
der Tauben fütterte, alles Gift der Welt
auf die Brut Luftratten herabwünschen.
In Abwehrhaltung, die Fäuste erhoben,
fragte ich ihn nach dem Weg zum Hotel
und stand dann im Flandrischen Viertel
im selben Zimmer wie vor zehn Jahren.
Glück oder Zufall, überlebt zu haben?
Gleichmütig flogen im leeren Innenhof
Tauben um funkelnd an einer Platane
lehnende Schlafzimmerschranktüren,
eh sie in den Spiegeln verschwanden.
Für Julia Trompeter
*
15. April 2015 11:24
Christian Lorenz Müller
Gegenwind
Der Motor hat zu wenig Öl.
Er hört die Welle hitzig werden,
hört es ganz allein.
Wo ist die Insel?
Künden Vögel nicht von nahem Land?
Er wünscht sich Möwen,
doch da ist nur Gischt, die fliegt.
Noch fünf, noch zehn Minuten
und die ersten Lagerkugeln brechen.
Er muss zum Heck,
er bittet, fleht, gebraucht die Fäuste,
die Flüche hört er kaum.
Sie stehen eng an eng,
sie stehen wie Soldaten,
sie wissen, dieses Fischerboot
balanciert auf schmalem Kiel.
Geh nicht. Du bist der Beste.
Du hörst, wozu wir Augen brauchen.
Am Außenborder sitzt ein Nigerianer.
Oil? Er deutet unters Dollbord.
Ein Kanister, mit Benzin.
Noch drei, noch vier Minuten.
Wo ist die Insel? Sie ist klein,
ist selber nur ein Boot,
umschwärmt von Gischt.
Das gute Öl für gute Kunden,
das schlechte ist für Leute,
die du nicht leiden kannst.
Ein Gellen, das der Nigerianer
nur als Sirren hört. Die Welle
frisst die Lager, frisst sich fest.
Und keine Möwen, keine Insel.
Gegenwind.
20. April 2015 20:06
Tobias Schoofs
wenn man so eine gruppe sieht
will man sie in stein verwandeln
heraus kommt ein unscharfes bild
der apparat ist nicht der rede wert:
obskure optik · lausige software
man sage nicht: halten sie still!
das wackeln kommt nicht vom motiv
es sind die zitternden hände
auch will man kein leeres gegrinse
man will den toten im gebüsch.
ins ohr des hepatitisgelben freundes
flüstern: gott! was sind sie schön!
23. April 2015 23:52