Andreas H. Drescher

NACH DEM PFLAUMENMUS

Einerseits das Lebenslängliche als Faden
Um meine Hüfte als
Ein Faden mit sehr glatten Ufern

Andererseits die flotte Luft über mir
Die mir als kalter Vogel
In die Hände fällt

Ich stecke ihn in die Hosentasche und
Mache ihn zum Käse
auch nur zu sehen ist Bevor der erste Riese

3. Juni 2016 21:05










Christian Lorenz Müller

PAUSCHALES BLAU

I

Die Sandsichel schneidet unermüdlich
Garben aus Schaum,
alle andere Arbeit ruht. Die Zukunft
verläuft sich zwischen Tamarisken,
zwischen Schilf. Fernblaue Gebirge
überm wogenden Wasserfeld
und mühlradrunde Steine
auf dem Strand.

Eine volle Scheuer,
steht unser Zelt.

II

Schwemmholz: vom Wasser
weiß gebeizte Knochen.
Ich apportiere drei Handvoll vom Strand.
Bald schon nagt sie unser Feuer schwarz,
das Schwänzeln des Rauchs
rund um den Kochtopf.

Eine angetriebene Schnur
liegt als vergessene Leine im Sand.

III

Wenn am späten Nachmittag
die Glitzerschollen
sich zu Silbereis verdichten,
wenn das Speedboat
zu einem gleitenden Schlittschuh wird
und das Inselchen für Minuten
eisbergblau der Kimm entgegentreibt,
wenn das Sonnensegel
sich nur noch mit brisigem Licht füllt
und du dich voll Erstaunen fragst
wohin die Stunden verschwunden sind,
wenn du für die fernen Berge
keinen anderen Vergleich gefunden hast
als den von durchsichtigen Gletscherzungen
die ihre Farben im Dunst verkalben,
dann wird es Abend.

9. Juni 2016 10:22










Karin Fellner

die kleinen Unendlichkeiten im unendlich Kleinen, ohne
Ausdehnung ist der Punkt, sagst du, also der Kopf,
ein elektrifiziertes Gelee, das im System der Verzweigung
sich wieder im System der Verzweigung
findet und nicht einholt:
Stehste anna Ampl, ey Alda, un nix geht!

gestern las ich statt Knast: spreng den Unast im Kopf.
Sprang, weiß nicht wie, in das Überangebot „Laub“,
zog Muskeln der Kehle aus, dieses Spannungsnetzwerk,
dreiblättrig, auch der Hals, lern ich, hat Eingeweide.

10. Juni 2016 08:31










Sylvia Geist

Nähen auf salzburgisch

10. Juni 2016 18:26










Sylvia Geist

Von anderswo

In der Auslage der Kurzwarenhandlung hält
eine Prozession Elefanten, Schwarzwaldmädeln,
balinesischer Tänzerinnen. Almdudler umzingeln
die Delfter Windmühlen hinter den Mönchsbergen
der Schneekugeln. Nadeln, Garne, Borten fehlen,
statt Knöpfen sind Köpfe erhältlich, Sissis ganz
natürlich im Romylook, Mozarts auf zwei Tellern.

Hinter Swarowskis, Starbucks´, H&Ms Botschaften
ist das die Wechselstube, die dir den übrigen Schein
aus dem Gedächtnis in härtere Währung tauscht.
Der Kurs ist logisch, enttäuschend und repräsentativ:
Sissi erinnert an Paris, Mozart an eine Reise nach Prag
(auch an Hüftgold), alles ans Typische von sonstwo,
an das du überall kommst außer in einem Geschäft

mit Kurzwaren. Über der Menge, wie sie gestrandet
und vertrieben von den großen Handlungen, hängt
mit Blick auf die Pferdeschwemme ein Einhorn aus
einer violenten Saga – du nähmst es mit, um anderswo
daran zu denken, existierte der Laden noch. Anderswo
ist ein Putsch, eine Sage von Entfernung und Verlangen,
erzählt in der Transitzone (diesmal Salzburg, wirklich

mit Salzach und Burg und den abgesoffenen Gäulen
in den Brunnen), in einer bankrotten Filiale Arkadiens,
versteckt in den vernünftigen Arkaden, die Knöpfe
nicht verkauft, aber birgt, wenn im Näherbedarf
die erloschenen Schubkästen hinter dir wieder
aufgehen, in schöne fremde Münzen für die einen,
für die Konquistadoren in brüchiges Horn.

10. Juni 2016 18:26










Tobias Schoofs

ORIGINAL

und diese zeile ist hier reinkopiert
und diese zeile ist ein original

ins leben werden wir schon reinkopiert
dann kommt es dass ein lichtstrahl uns begegnet
dann kommt es dass es unaufhörlich regnet
dann sterben wir auch schon als original

die erste zeile wird hier her kopiert
die letzte zeile bleibt das original

13. Juni 2016 14:12










Hendrik Rost

Selfies von anderen

Beim neuerlichen Lesen in der über Jahrzehnte gewachsenen Mappe mit Gedichten aus Tageszeitungen komme ich mir vor, als blätterte ich durch ein Familienalbum: Das da, das ist doch der über drei Ecken verbandelte Schwippschwager von dem dort. Dies ist der Onkel mit dem religiösen Eifer und jener dort hört erst mit dem Stottern auf, wenn er anfängt zu singen. Mutter, Tante, Schwestern haben jeden Tag mit ihren Rollen jongliert, bis uns die Gesichtszüge entgleist sind vor Bewunderung und ganz neue Wege gegangen sind …

14. Juni 2016 14:49










Tobias Schoofs

KOPIE

jetzt wird das alles nochmal durchkopiert
die fehler machen das zum original

geboren werden wir als original
dann weiß das wünschen aber nicht wo lang
und folgt halb blind dem trubel und gesang
so wird das ganze leben durch kopiert

die erste zeile fühlt sich noch verloren
die letzte zeile fühlt sich neu geboren

15. Juni 2016 19:56










Karin Fellner

ha! habe kein Gelingen. Lehrlingin bleib ich von

Pilzpartnern, Algenpartnern, Mitfellträgern, d.i.

Filets häkelnd. Filiationen

entsprechen nicht notwendigerweise den

Hüllen, Hymnen, Hymen, Hieroglyphen, Hyphen.

//

dass ein Symbolsystem seinerseits sich verschiebt

bei dochtartig filzigem Bau,

nicht kalkulierbar, lern ich,

dass etwas „weiß sagen“ heißt: uuir sehen uuiza straza.

//

ich zog die Kartoffel aus, bis sie nackt war, bezog

die weiße Kartoffel im Abo, stellte lächelnd: ¡Patata! die Frage:

gehen Sie aus? gehen Sie nie aus dem Zwiespalt

von Bedeutung und Herkunft hervor?

17. Juni 2016 11:19










Christine Kappe

In der U-Bahn

Ein älterer Mann ging auf den Gleisen, er trug gepflegte Kleider, etwas ärmlich, hell, sein Haar war auch hell & nach hinten gekämmt, sein Gang war unerwartet elegant, er schaute abwechselnd zu den Wartenden & in den Tunnel, eigentlich ging er am Strand entlang, auf jeden Fall hatte er absolut andere Interessen als wir alle, vielleicht besaß er aber auch einfach nur eine Schönheit, die in keinerlei Beziehung zu seiner Umgebung stand.

19. Juni 2016 22:10










Andreas Louis Seyerlein

~

0.02 – Am Abend im Waren­haus beob­achte ich einen klei­nen Jun­gen. Er springt in einer War­te­schlange vor einer Kasse herum und lacht und ver­dreht die Augen. Weil sich auf dem För­der­band vor der Kasse Milch­fla­schen, Corn­flakes­schach­teln, Rei­stü­ten sowie zwei Honig­me­lo­nen befin­den, kann der Junge den Mann, der an der Kasse seine Arbeit ver­rich­tet, zunächst nicht sehen. Bei dem Mann han­delt es sich um Javuz Aylin, er ist mit­tels eines Namens­schild­chens, das in der Nähe sei­nes Her­zens ange­bracht wurde, zu iden­ti­fi­zie­ren. In die­sem Moment der Geschichte erhebt sich Herr Aylin ein wenig von sei­nem Stuhl, um neu­gie­rig über die Waren hin­weg zu spä­hen, ver­mut­lich des­halb, weil der Haar­schopf des Jun­gen mehr­fach in sein Blick­feld hüpfte. Da ist noch ein zwei­ter Haar­schopf an die­sem Abend im Waren­haus in nächs­ter Nähe, schwar­zes, locki­ges Haar, es ist der jün­gere Bru­der des Jun­gen, der in weni­gen Sekun­den zu dem Kas­sie­rer spre­chen wird, beide Kin­der sind sich so ähn­lich als seien sie Zwil­linge, ein gro­ßer und ein klei­ner Zwil­ling. Gleich hin­ter den Buben war­tet die Mut­ter, sie lächelt wie sie ihre Kin­der so fröh­lich her­um­tol­len sieht. Die junge Frau trägt ein sehr schön bun­tes Kopf­tuch, ich stelle mir vor, sie könnte in Marokko gebo­ren wor­den sein, kräf­tig geschmink­ter Mund, herr­li­che Augen. Plötz­lich sind die Waren auf dem För­der­band ver­schwun­den, der ältere der bei­den Jungs betrach­tet auf­merk­sam das Gesicht des Kas­sie­rers Aylin, der müde zu sein scheint. Er hält dem Jun­gen ein Päck­chen mit Sam­mel­bil­dern zur Euro­pa­meis­ter­schaft ent­ge­gen, außer­dem ein zwei­tes Päck­chen für den klei­ne­ren Bru­der, der immer noch hüpft, weil er gerade eben doch noch zu klein ist, um über das Band selbst hin­weg spä­hen zu kön­nen. Oh, danke, sagt der Junge zu Herrn Aylin. Er schaut kurz zur Mut­ter hin­auf, die nickt. Ich habe schon fast alle Kar­ten, fährt er fort, die deut­sche Mann­schaft ist kom­plett. Er macht eine kurze Pause. Ich bin näm­lich Deut­scher, sagt der Junge mit kräf­ti­ger Stimme, auch mein Bru­der ist Deut­scher. Wie­der schaut er zu Mut­ter hin, und wie­der nickt die junge Frau und lacht. Bist Du auch Deut­scher, fragt der Junge Herrn Aylin. Der schüt­telt jetzt den Kopf und schnei­det eine freund­li­che Gri­masse. Der Junge setzt nach: Ach so! Warum nicht? Aber da ist er, ehe Herr Aylin ant­wor­ten kann, mit sei­nem klei­nen Bru­der und sei­nen Sam­mel­bil­dern bereits irgendwo hin­ter der Kasse ver­schwun­den, so dass sich ihre Mut­ter beei­len muss, um sie nicht aus den Augen zu ver­lie­ren. – stop

> particles

20. Juni 2016 00:48










Thorsten Krämer

Anzugkunde

I.
Du musst die Beine schütteln, dreimal
auf jeder Seite. Dann gehst du einen Schritt
in handgenähten Schuhen und einen in Sandalen.

In der Hocke streckst du abwechselnd die Arme.

Du zählst bis sieben und dann leerst du deine
Lunge, zählst bis siebzehn und stehst auf. Die Luft
in dieser Höhe nutzt du für den nächsten Schritt.

Im Liegen ballst du ausdauernd die Fäuste.

II.
Warum überhaupt Maßnahmen? Das ist eine
Verkäuferfrage, und sie führt hier nicht weiter. Im
Gegensatz zu Marktforschungen besteht die Anzugkunde
nicht aus Weinerlichkeiten, im Gegensatz zu Straßenkötern

liegt kein Ausweg. Was immer überschätzt wird: der Stoff.
Auch über Geld gibt es an dieser Stelle nichts zu sagen.

Das angepasste Leben wirft die Falten mit Verachtung.
Die Verachtung ist ein ausgefranstes Schulterpolster.
Das Schulterpolster trägt der Herr bevorzugt am Revers.
Das Revers schlägt um bei jedem Windstoß, wenn der Herr

nicht aufpasst. Der Anzug führt sein unverschämtes Eigenleben.
Er ist das Tier auf deiner Haut. Du musst die Beine schütteln.

26. Juni 2016 14:00










Hans Thill

Der tätowierte Tisch

die beschriebene Apfelhaut. Ich träume den Windungen
der Algen hinterher, gekentertes Pferd  mit Schwertern,
wo andere Flügel tragen. Ich arbeite mit dem Fleiss
 
der Sonne, die im Garten untergeht, ich bin ein Nudist,
mit seiner Gabel aus Sand und Silber, Taucher im
flüssigen Meer! Jetzt kommen die hyperaktiven
 
Mungos, dann die furchtsamen Zitterwale, dann die
Kamikazekarpfen. Einst sprach ein Brite in Brocken
zu den Troerinnen vom Ursprung der Stille,
 
es war die Rede vom Dosenöffner an der Schläfe.
Ein Gebüsch fiel um und der Rost schlief nicht
und die Grammatik
 
schlief nicht. Ich schichte Backstein aus Sprachmehl
auf Backstein aus Silber und Sand. Das Geld
gefriert in der Hose des Eremiten
 
der Bernstein auf Bernstein baut, oh ihr lauten Lebenslehrer,
zeigt mir den Kern in der Tischplatte des Apfels, ich
bin ein gebissenes O-Wort mit Sehnsucht
 
nach Gebäck

Edenkoben 29.6.2016: Poesie der Nachbarn: Serbien
 

Begrüssungsgedicht für
Predrag Bogdanovic Ci, Vojislav Karanovic, Ivana Milankov, Ana Ristovic, Miljurko Vukadinovic, Jovan Zivlak, Jan Krasni, Marcel Beyer, Nadja Küchenmeister, Kerstin Preiwuß, Ilma Rakusa, Marcus Roloff, Michael Speier

30. Juni 2016 13:37










Hans Thill

Stein in Etenkoben

30. Juni 2016 14:03