Björn Kiehne

Die Mittagsblume

Ich weiß, es ist einfacher,
wenn wir uns nicht
gegen die Wellen wehren –

unsere Worte liegen wie
entfernte Inseln im Dunst,
Ponza, Palmorala, Ventotene;

in der Steinmauer öffnet sich
die Mittagsblume, die Vögel
kommen, um zu schweigen,

und mit der leuchtenden
Tinte des Thyrrenischen Meers
schreiben wir uns Zeilen,

die einander lange schon
kennen, wie, weißt du
noch, erinnerst du dich?

Bis Wind aufkommt, der
Geruch von fallendem Regen
durch unser Gespräch zieht,

die Mittagsblume sich um 
diesen Tag schließt, ihn schützt
vor dem kommenden Sturm.

3. Juli 2017 09:59










Thorsten Krämer

Ein Käfig für ein brennendes Auto

Eine geruchlose Masse, zäh wie Kaugummi, wird in Form gebracht durch einen darin befindlichen Luftballon, dessen langsames Aufblasen vom Abspielen der italienischen Nationalhymne begleitet wird. Nach dem Zerstechen des Ballons wird die verbleibende Öffnung vorsichtig geweitet. Dort hinein gibt man ein methodistisches Gebetbuch, zwei abgebrochene Schlüssel, eine Perücke aus Echthaar, die Gummifüße einer Leiter, fünf gefaltete Adressaufkleber und eine Meerschaumpfeife. Alles gut schütteln und eine Woche stehen lassen. Dann das brennende Auto behutsam einführen.

7. Juli 2017 21:30










Tobias Schoofs

KÖNIGSHAUS

in schleim der wirkt wie gleitkrem
oder kleber kriecht die zeit nein

nicht die zeit vielmehr was sich
bewegt in ihr der zeit und gleitet
oder klebt mal mehr das eine

mal das andere durcheinander
meist und ordentlich sitzt oben
drauf ein haus das nennt man

königreich und wie die nackten
heißen steht bestimmt im brehm

10. Juli 2017 20:23










Christine Kappe

Neue Schuhe für ein Königreich

Ich wollte mir neue schwarze Schuhe an einem Kiosk kaufen – aber sie hatten nur weiße. Der Verkäufer war besoffen und kam gar nicht erst bis zum Tresen. Der Kiosk befand sich wie die ganze Stadt auf einem Baugerüst. In den Straßen floss Wasser. Der Kiosk war nur Fassade – durch das Verkaufsfenster sah ich ins Meer.
Ich hatte irgendeinen Auftrag zu erfüllen.

10. Juli 2017 21:29










Karin Fellner

One Look Equals Three-Quarters of a Whisper

Once again, a dark window, a plaque
full of molecular structures and migrating galaxies.

Eureka! Those shy, those rare butterflies,
and how the eyes pan across as they flutter back into the abstruse.

As your bent head teeters on bent hands, the point,
phantomlike, remains as many fathoms deep.

Pulling from below, pulling the mass of the earth on a yarn,
your thinking sways above the physical maps.

What does that tell us, Madame?
Does it let itself be solved, this fourth of the night?

(Poem translated by Zane Johnson, USA, 2017,
who is finishing his Bachelor’s at the University of Colorado Denver and plans on studying in Germany in the coming year through a Fulbright.)

––––––––––––––

Einer Einheit Schau entspricht dreiviertel Raunen

Abermals Dunkelfenster, eine Tafel voller
Molekularstrukturen und wandernder Galaxien.

Heureka, die scheuen, die seltenen Dickkopffalter,
wie sie beim Schwenk der Augen zurück ins Abstruse flattern.

So wankt der verbogene Kopf auf den verbogenen Händen,
Schwergewicht, Phantom, wie viele Faden tief.

Von unten da ziehts, da zieht die Erdmasse an einem Garn,
pendelt das Denken aus über physischen Karten.

Was sagt uns das, Madame?
Lässt er sich, meinen Sie, lösen, dieser Dreisatz der Nacht?

(Karin Fellner, 2014)

12. Juli 2017 07:30










Mirko Bonné

Zum Tod von Liu Xiaobo

In diesen Minuten ist die zweite Schlagzeile der bundesdeutschen Presse: „Liu Xiaobo ist tot“, die erste darüber lautet: „Deutschland und Frankreich wollen gemeinsamen Kampfjet entwickeln“.
Bis zu seinem Krebstod ist der chinesische Autor und Dissident Liu Xiaobo seinen Drangsalierern nicht entkommen, selbst eine Behandlung im Ausland wurde ihm verweigert. Liu hat jedoch noch mit seinem Tod ein Zeichen gesetzt: Das chinesische Regime ist ein verächtliches, dem das Leben und die Ansichten des einzelnen Menschen nicht von geringsten Wert sind.
Der goldene Fisch hat vor einigen Jahren auf seine stille, den Fischen angemessene Weise auf Lius Schicksal und das seiner Frau aufmerksam gemacht. Man kann die Beiträge nachlesen.
Good night, and good luck, Liu Xiaobo.

*

13. Juli 2017 16:03










Konstantin Ames

Die Saar an Land 1/2

Statut, dt. Wahn, Frankreichstrategie

Elegiemaschinchen,
gesteckt, geklebt, verzahnt, postiert

19. Juli 2017 16:24










Konstantin Ames

1/1 Das Land an’r Saar


Elegiemaschinchen,
geklebt, verzahnt, postiert

20. Juli 2017 09:09










Thorsten Krämer

Ein handlicher Käfig für unterwegs

Ein Tischtennisball, in den mit einem Skalpell fünf Löcher von jeweils drei Millimeter Durchmesser geschnitten wurden. Zwei Grashalme, die Enden dick verknotet, sind derart durch vier der Löcher gezogen, dass sie sich im Innern kreuzen. Ist der Käfig in Gebrauch, steckt im fünften Loch ein Streichholz, dessen Kopf exakt den Mittelpunkt des Balles bildet.

20. Juli 2017 15:24










Konstantin Ames

Die Saar an Land 2/2

Statut usw.

Elegie usw.

26. Juli 2017 10:25










Thorsten Krämer

Ich habe dein Deo vergraben und bereue

es nicht; ich lege mich mit dem Wind an, denn
er riecht nicht nach dir. Dabei bin ich sonst gar
nicht der streitsüchtige Typ, du kannst das
bezeugen, im Gegenteil: Ich stifte Frieden

zwischen Berg und Meer, du hast mich als
Botschafter gleich akzeptiert. Aber auch
die Symbolhandlungen sind letztlich nur
Ablenkungen, wie der Zangengriff um die

Nase, wenn die nächste Welle kommt. Ich
inhaliere jetzt nur noch auf Lunge und nehme
die Spätfolgen lächelnd in Kauf. Das gelobe
ich freihändig in diesem Moment höchster

Luzidität. Oder wie nennt man diesen legalen
Zustand des Weggeknalltseins?

28. Juli 2017 09:14










Konstantin Ames

Kartoffelblut (das’ kein Volkslied)

In der Zahnbürste das Haar. Muss deins sein.
Der letzte Faschist wird nie geboren, Schwein.
Raubtiere sind nützlich. Gemalte Butzenscheibm
sind moralisch in Reimm. Sind so schön wie ein
vollentwickeltes Exemplar. Wer will
diese ganze Zucht? Einige werden als Haie geboren. Haie
kommen in die Suppe, Suppengesser. Es gibt keine
Krone der Schöpfung. Selbst Faschos sind da weiter
nicht so booksy wie du, kleine neojesuitische Kuhküsserin.

“No matter how kind you are, german children are kinder.” (Zé do Rock)

Jesus war nicht loyal, kein Spanier und aß koscher.
Komm drauf klar, Mimose, sonst wärst du nie geboren.

Früher hieß es: Angst essen Seele auf. Heute essen Kartoffeln
Türken. Wer von Geheiltheit spricht, ist der nationalste Sozialist.

Bist du ganz Ohr oder hast du auch Augen?
In Augen steckt man nix, um Blut zu sehen.
Zauberwörter gibt es nicht, gibt Trigger. Lyrik
oder Demokratie. Ihr seid bloß musisch, das ist zu wenig.

Gott segne die gereinigten Brüsseler Spitzen der Peppen von Stoff.

Küsschen an die von der Sprachfraktion

29. Juli 2017 14:13










Tobias Schoofs

GRANATFRUCHT

der krieg war ein textkörper
sacré-cœur akropolis tobruk

ein russe erschossen am see
am schluss das große sterben
fruchtfliegen die kameraden

der harte kern der textfrucht
ein granatsplitter im fleisch
der den nacken versteift und

nachts geräuschlos immerzu
auf den sargboden scheppert

29. Juli 2017 17:00