Thorsten Krämer
Der Moment am Waschbecken, wenn du ins Innere
der Tube schaust, die Reste Zahnpasta in trübem
Rosa, wie Schimmel sieht das aus, die isolierten
Klumpen an der messingfarbenen Beschichtung, die
sonst kein Licht sieht und auch jetzt ganz stumpf
bleibt, trotz der Morgensonne, die grell die Szene
überstrahlt — ein bloßer Akt der Sparsamkeit, der
unversehens ins Obszöne kippt.
2. August 2017 11:07
Christian Lorenz Müller
Wasser glast in der der Gumpe.
Die Forelle kratzt
zwischen den Steinen
und dem gestürzten Stamm.
Die Sonne im Rücken
steigst du durchs Fenster,
durch sichtige Kühle.
Ein Gedicht muss sich nicht öffnen,
hat vielleicht keinen Griff
und wenn du hineinblickst
schaust du hinaus,
schaust hinaus, wenn die Strömung
die schwarze Gardine vorzieht,
den Schlamm.
11. August 2017 09:36
Christine Kappe
für Sylvia Geist zum Geburtstag
die Geräusche, die in der Toreinfahrt hängenbleiben
Kindergeplapper
die Lieblingswörter der Jugendlichen
die immer 9 oder 10 mal gesagt werden müssen
und dann ist man bereits am Ende der Straße
oder schon eingestiegen
Ob der Regen wirklich so gefährlich ist, wie der italienische Autofahrer behauptet?
Versuche, aus der Stadt rauszukommen, bevor es dunkel wird
Irgendwas im Nacken, was wehtut
16. August 2017 16:32
Christian Lorenz Müller
I
Das Ausrufezeichen hinterm Thalassa
ist grün und heißt Zypresse.
Nach einer weiteren Stunde Fahrt nur
flaggen wir unsere Handütcher
in die Steineichen
und gründen die Republik
der nackten Bäuche.
Este Bürgerpflicht: Das Ausruhen
im Schatten des Sonnensegels.
So sprechen es die Salbeizungen
die sich zu hunderten
parlamentarisch versammeln.
Frei und gleich sind die Wellen
vor dem Wind.
II
Zikaden zerkarsten die Stille.
Wie die Stunden versickern.
Du weißt nicht, wo sie sich sammeln,
ahnst es erst später, im Winter,
wenn Erinnertes
stetig aus dir strömt.
III
Abends ankert ein Inselchen
vor dem Kap, ein Boot
mit einem Leuchtturmmasten.
Schlüpfst du ins Zelt,
zieht es auf Fischfang.
Ein Bullauge, schimmert der Mond.
Am Morgen, noch bevor du
aus dem Schlafsack kriechst,
macht es wieder fest.
Lirica, sagt die Karte,
ist sein Name.
21. August 2017 15:32
Konstantin Ames
Über unserer Usance
das Tüpfelchen bin ich
oder zumindest Musik – – –
Wie heißt er ’n?
Ist er heiß, -er?
Bitte mehr Live!
Gerade von Ihnen.
Da poppt was, da
ohne Foto sehen
wir nichts, hisst
his master’s vo-
ice. [Nur] Nuance.
22. August 2017 19:38
Mirko Bonné
1
Wallenstein in Bamberg träumte von Schweden,
und hier ging Wollschläger und hatte im Kopf
den Fluss, den Fluss. Vom Hexenbrenner,
dem Fuchs von Dornheim, was blieb
von den gierigen Hasspredigern
gegen Küsse, Brüste, Lust und
den Rausch, zum Glück zu leben?
Totengeflatter. Mauern. Wer weiß, wo
der Ausgang ist. Womöglich am Eingang.
Der Erlöser mit den schönen Augenbrauen
wartet im Regen, du im Café Graupner.
2
Wider die Tausendzüngigkeit
der Freien! Den Kot ihrer alles,
jeden hinnehmenden Gelassenheit!
Gegen die Liebe, gegen die Leichtigkeit,
und eingemauert die Zuneigung! Widerstrebt
gleichgesinnt randständigen Elementen. Gegen
das Offene, die sich lebendig schimpfende
Verharmlosung der Moral des einzigen
Gottes! Gegen ihre Liebesssucht,
steht auf gegen die Widerrede-
sucht. Sie lügen! Verratet!
3
Obere Pfarrkirche, Mauer
Unserer Lieben Frau. Die Tauben
kommen zurück. Sie landen und finden
aufgeplustert Platz auf den nackten Armen
des Herrn. Und sie warten. Worauf,
dass alles endlich fliegen lernt,
abhebt und die Weite sucht?
Worauf warten, hm, Messias?
Kinder fliegen vorbei. Sie segeln
in die Gasse, die Eisgrube, stehen rum,
blödeln in der Sonne. Sie lachen und sind jung.
*
23. August 2017 00:09
Konstantin Ames
Das Maggieis, das Maggieis ist erfunden.
Die Saar war schon immer maggifarben.
Das Eis äß nur flussaufwärts mit Schürze
ich. Schiller schrieb niemals über die Saar
(Bleutge ooch nich) oder das Maggieis
und die aus ihr aufsteigenden Fürze.
Mit Maggiallergie wirst du geschunden
vom Maggigeschmack; und Narben
übersäen deine plattfüßige Zunge.
Das Land kann man streichen; das Haar
des maggifarbenen Flusses muss man (u. sei’s
würzehalber) streicheln, Junge, bis zum Stuss.
für Sean Bonney
23. August 2017 09:34
Sylvia Geist
Ein Freund schreibt mir von
zwei Gedanken, beide von heute,
ich berichte ihm von meinem
zweiten Gehirn, dem im Bauch,
wo beredte Bakterien Dienst tun.
Es gebe solche, die lassen die Maus
tapfer wie ein Samurai der Katze
ins Auge blicken, einer Welt,
in der sie es besser haben werden.
Bedenkend, was von Verdauung lebt,
Irrtümer, Mut, Entscheidungen,
fiele es schwerer, von unten
und oben zu sprechen. Jede Energie
frisst die Ordnung. Mein Mitgefühl
für die Maus ist echt, ein Ausdruck
probiotischer Verhältnisse. Täglich,
schreibe ich, denke ich daran,
etwas zu unternehmen, was ich tue,
löst sich im Milieu des Satzes.
Jede Ordnung frisst Energie.
24. August 2017 07:52
Tobias Schoofs
überschütt uns herr mit elend und
umkränz mit zoten unsere kunst
25. August 2017 20:17
Thorsten Krämer
Jonis Hartmann lebt in Hamburg und arbeitet als Autor, Kritiker, Veranstalter und neuerdings auch als Literaturzeitschriftenmitmacher. 2016 erschienen sein Lyrik-Debüt „Bordsteinsequenzen“ im Elif Verlag und der Literatur Quickie „B-Texte“ mit Kurzprosa.
*
Idee von einem Satz
Gestern sagte mir jemand, dass die Gedichte dieser Tag wie Prosa wären und die Prosa wie Müll. Wenn ich heut Abend jemanden träfe, könnte ich sagen, dass Worte Gefangene sind oder Entdecker, aber das wird nicht der Fall sein, denn heut Abend verlassen wir die Erde. Wie dumm von mir, nichts erwidert zu haben. Jetzt heißt es warten.
*
Herzlich willkommen, Jonis!
30. August 2017 07:53
Jonis Hartmann
FEILSCHEN
Später nach dem Flohmarkt trafen wir den unzuverlässigen Erzähler, und denk dir, was er sagte, Morgen werdet ihr schreien. Wir lachten, und das tun wir auch jetzt noch, während wir uns anschauen und keiner der Erste sein möchte.
31. August 2017 10:18