Christian Lorenz Müller

UND WENN DU HINAUSGEHST

Langsam verlanden die Farben,
das Jahr zieht sich zurück.
Schlickiger Nebel,
Tage ohne festen Grund.
Hie und da nur
zappelt ein Sonnenstrahl
in einer Pfütze.
Irgendwo, ganz fern,
das Rauschen der Stadt.

Du wohnst in einem
kantigen Leuchtturm
mit blinder Linse.
Wenn du hinausgehst
muscheln Silben im Laub.

7. November 2017 18:39










Hans Thill

Guillaume Apollinaire zum 99. Todestag

Wir trinken den weißen Schlamm der Felder, tragen uns über Mauern
aus Reisig und Tarnseide. Im Hof der Pioniere kauen wir Getreide,
Musik aus Menschenhaut und ein Hund spricht objektiv. Ein Kopf
redet von den Mörsern und zerschossenen Kiefern. Die Knochen
reden. Ein Kopfverband im Wilhelmjubel. Wir blättern weiter
zu dem Zeigefinger über Züri. Wir blättern weiter zu den Arimaspen
über der Schampann. Die (kurze) Zeit heißt plötzlich ich und hat
bei eins schon ausgezählt. Es geht ein bißchen rauf, es geht
ein bißchen runter. Dazwischen liegt der tote rote Fluß.
Babel. Die Affen verlassen die chemische Fabrik, ein ganzer
Wald geht da nachhause. Ein Zeigefinger, der wandert, hängt
am Faden einer Maus. Ich lege meinen Leib neben die Marquise.
Ihr Schoß ist weich wie ein Turnschuh. Ich bin der Kosack
eines umzäunten Reichs aus Holz und Kohle. Ich bin
ein Sack Mehl auf dem Maultier nach Montmartre.
Die Marquise öffnet den spitzen Schirm, der eine Kirche ist
In einer Garage hinter festem Draht und Zucker bäckt sich
kyrillisches Latein, der Magen liest sich lieber satt mit Maggipulver.
Nieder mit Wilhelm, à bas Guillaume, in dieser Nacht waren beide eins
und zwei. In dieser Nacht fiel es ab von mir wie Gips, der einmal
Stein war. Ich lag versteckt im Hof des Kalahari, der damals Bischöfe
buk zu kühlem Brot. Es gab (wir aßen) Algen aus Algeciras,
Äpfel aus Baumwolle. Im Hof der Pioniere lagern die Tiere

Aus: Museum der Ungeduld

9. November 2017 22:50










Julia Trompeter

liebe

muse, schöne weiche wilde
frau auf dem bett luken hintern
nichts als blaue stunde, lust
oder laune oder kaffee
muse, schöne sanfte hügelige
landschaft aus gischt oder doch nur
lose verliebt oder doch nur

schöne wilde weiche muse
hintern bett luken frau auf dem
nichts als blaue lust, stunde
oder kaffee laune oder
muse, schöne sanfte hügelige
gischt oder doch nur aus landschaft
nur lose verliebt oder doch

14. November 2017 17:14










Andreas H. Drescher

BRUNNEN

Die Strähnen eingefasst in ihre erste
Raute wo sie leuchtet angesungen
dieses Säusel-Dur noch einmal auf
gerichtet Hände dieser Tastatur
über der Hülle Tod und Mädchen
also Touchpad einzeln wo es einzeln
werden will der Dreitür vor den
Buchenschatten unter Wolken
Lindenholm und ein verschlossner
Sekretär Bücher im Perpetuum
des Falls ein Bad in Weiß und
wieder Weiß vor Fächern und
vor Blättern das Geheimnis dass
auch Schatten sich bewegen Kind
heiten vorverlegt in ihren Ernst
wo er noch glücklich macht und
formt vier rechte Winkel formt
aus Armen ohne Aus Glissando
dieser Lampe eine Lippe die den
Kopf des Instruments berührt und
einlöst also heiser vorgestellt das
rechte dann das linke Bein Finger
beeren über Saiten in im Scroll
langsamer als der Tanz wo er
beginnt wo er noch raut die auch
noch nicht sich selbst umblättert
eingeklungen der Akzent in A

WIEPERSDORF-TRIO 1 ///
KOMPOSITION UND GEIGE:
ELISABETH PAULUS,
KOMPOSITION UND PIANO:
JONATAN FIDUS BLOMEIER

15. November 2017 10:07










Konstantin Ames

Lyrisches Ich, Tag nach der Steinzeit

O Eure ostige Melankolie.
Ich weiß, Schweiß darf nicht aus geringen Gründen fließen.
Dass. Würde mich (geleert).

Ey Olifant! Der Pharao hat Gicht.
Mir platzt der Spind im Gesicht.
Marderbisse klingen wie das Piepsen an den Kassen.

«Genau.» sagen sie, statt zu sagen: «Halt’s Maul!»
Ich bin der Welt Abseitsfall,
der Welt Langschläfer, pff.
Oi Pöbel! Willst’s doch auch.

Dasselbe und als wärst du selbst nichts als neuverliebte Eltern.
Die abgespielte CD. Zirpt.
Eine Grille. So geht das, Sieger.

17. November 2017 22:03










Tobias Schoofs

ESTOU ALÉM

wieder versinkt ein ort
im gedächtnis ein name
der dröge ersatz für die stimme
die leiser wird
und endlich verklingt

der bleistift kratzt
eine farblose spur aufs papier
die nirgendwo hinführt
sich windet und abbricht
ohne dass etwas gesagt wär

sie · die hand auf der schulter
des gitarristen · singt:
não consigo dominar
und ich warte mit ungeduld
dass die stimme nun leiser wird

(für Marifá)

19. November 2017 20:15










Thorsten Krämer

Ein Käfig für einen lange verschollen geglaubten Steuerbescheid

Wir müssen uns diesen Käfig als temporäre Intervention denken. Er ist nur ein Behelf, aber das mindert nicht seine Bedeutsamkeit. Seine Wichtigkeit besteht in jedem Wort, jeder Zahl seines Inhalts. Um diesen Inhalt zu schützen, ist der größte Teil dieses Käfigs immaterieller Natur. Ein dickes Polster aus Nichts umgibt zwei Blätter Papier, doppelseitig bedruckt. Nur an zwei Stellen wird dieses Nichts durchbrochen: Eine auseinander gebogene Büroklammer hat sich bei einer weiteren Büroklammer untergehakt, die wiederum die beiden Blätter zusammenhält. Das Ende der ersten Büroklammer läuft auf einen spitzen Punkt zu, der ein winziges Loch in das Nichts gestochen hat, durch welches dieser Käfig im Notfall zu öffnen ist. Bislang ist dieser Notfall noch nie eingetreten. Es bleiben noch acht Jahre; danach ist ein Eintreten des Notfalls zwar möglich, aber nicht mehr relevant.

24. November 2017 19:18










Andreas H. Drescher

Neuer Fisch im Schwarm: Alexander Peer

Im September durfte ich Alexander Peer und seine Texte
auf Schloss Wiepersdorf kennenlernen.
Sowohl er wie sein Werk haben mich sehr beeindruckt.
Das besonders vor allem für seinen Roman „Bis dass der Tod uns meidet„.
Vor einigen Tagen ist sein Lyrik-Band „Der Klang der stummen Verhältnisse“ erschienen.
Alexander ist 1971 in Salzburg geboren und lebt heute als Autor,
Herausgeber und Journalist in Wien.
Wir freuen uns sehr auf Alexander Peer im Fisch.
Andreas H. Drescher
(Christian Lorenz Müller unterstützt die Fischwerdung Alexanders ebenfalls.)

28. November 2017 08:30










Alexander Peer

Lektorat

Während ich schreibe,
kommt mir dies:
Das Korrekturlesen jedes Lebens
können nur Kinder übernehmen.

Aber wer wird es mir verübeln,
dass ich ihnen diese Bürde
– die gewiss die Augen bluten lassen wird –
nicht auf die dürren Schultern packen möchte?

Dass es keine Aufgabe der Kinder sei,
ein solches Korrektiv zu sein.

Doch dann wird es sie
nie geben
und mein Leben vergeht
ganz unkorrigiert.

28. November 2017 13:52