Thorsten Krämer

Eine Buddhafahrt ans Meer

sollte das werden, aber wir haben die Klangschalen
als Aschenbecher benutzt und schlechtes Karma
auf uns gezogen. Was gar nicht so schlimm ist, denn
das schlechte Karma raucht dieselbe Marke wie

wir, und nun stehen wir paffend am Strand. Schau,
der Himmel hat eine leuchtende Wunde, die kann
man sogar vom Mond aus sehen. Ich schenke dir
meine filterlose Aufmerksamkeit, du importierst sie

beiläufig. Sei still jetzt, Zeit, flüstere ich mit meiner
Muschelstimme, auf meine normale Stimme reagiert
die Zeit nicht. Das sind so Erfahrungswerte, die weißt
du auch. Was du noch nicht weißt: Der Regen ist eine

False-Flag-Operation. Wir schließen die Augen und
schlafen wie Erleuchtete.

12. September 2018 18:20










Andreas H. Drescher

JESUS AVATARUS, BUDDHAN HINGEKLATSCHT

I.
Ich wollte wirklich, ich wäre gründlicher gestorben. Nicht so gemischt, nicht kerzengrade wie ein Embryo, gemütvoller vor allem, seliger beschaffen. Hinterdrein sogar noch hätte sich das ausgewirkt. Richtig fortgegangen, würden mir die Dämonen hierzuoberst nicht mehr so papieren rascheln und mir Angst einflößen, wie es sich gehört. Doch wer stirbt schon beim Auspacken des Butterbrots! Kein Stockwerk, keine Treppe, nicht mal ein wenig Bohnerwachs: einfach nach vorn gekippt auf die dick bestrichne Seite und dann ausvorbei und Amen.

II.
Wieder versammeln sich meine papierenen Dämonen. Unbestimmt und leise grinsend wie mein mobbigster Kollege, der sich sicher war, ich schlafe einfach ein über dem Butterbrot und murmle: „Seht euch nur an, wie er den Heringskopf auf seine Stulle buttert!“ So kollegial sind jetzt meine alpinsten Alpe. Nicht einmal zu Beelzebub habe ich´s gebracht. Bescheiden, dieser Tod, wirklich! Sehr bescheiden! Keine Klasse, ohne Wissen… Dem Allerhaarigsten nicht mal in vitro widersprochen. Bloß beleidigt, aber nicht mal fachgemäß gequält.

III.
Blamabel ist das, derart schmählich unpurgiert, dass kaum mein kleiner Finger davon weiß. Knister, knister! Ohne jedes Aufsehn weggestorben. In diesen ewig blauen Montag hinein. Ich weiß noch immer nicht, wie´s dazu kommen konnte. Das insultierende Papier um mich herum nennt mich inzwischen einen „Simulanten“ dieses Wochentags. Als könne ich etwas dafür, dass ich nicht an einem Freitag gestorben sei, am besten nach der Feierabendglocke oder in der Straßenbahn. Dabei dachte ich schon, ich hätte mit der Mittagspause mein Bestes getan.

IV.
Einmal wirklich geplagt sein und nicht bloß belästigt! Einmal die Ruten, Spieße und das Eis des neunten Kreises nicht bloß aus Papier! Immer wieder versuche ich es. Aber sie sind allzu druckfrisch, diese Kraftakte. Keine Stricke, bloß Marienfäden: Spinnweb. Ungewisse Schmerzen. Das will sagen: gar keine. Himmel, was für eine lahme Unterwelt! Zu sauber, viel zu sauber, wie eine frische Wegwerfwindel. Nein! Derart halbe Sachen sind meine Sache nicht. Immer bloß diese flachen Nervenspiele. Das Inferno beschränkt sich auf die Werkskantine.

V.
Wie also? Sind mein Dämonisches und ich am Ende Freunde? Oder wo rascheln sie so ungeduldig hin? Ein Schein, ein Mein, ein Dein am Bein. Das lacht nicht mal mehr über mich, bei aller Ungeduld. Da sind die Buchstaben – und mehr als vier – die sie mir alle machen. Selbst sie wollen es besser, wollen die ganze Pein statt bloß der Peinlichkeit. Ergo sehe ich mich nach einem Windmacher im Eis mit vier Gesichtern um. Nur er würde mir helfen, vor lauter Schreck den Tod im Tod zu sterben. Aber da ist nur dieser Knick in meinem Butterbrotpapier.

(Für Thorsten)

13. September 2018 09:53










Christine Kappe

«Ich wollt, ich wäre gründlicher gestorben»
Erst recht, wenn es regnet und aus dem Nachbarhaus die nichtendenwollenden Klänge einer Party
wie wir sie früher gefeiert haben. Schlaflos
Aber ohne dass es uns störte. Endlos geraucht, endlos getrunken und nie das gesagt, was wir eigentlich sagen wollten
Nur um etwas, aufrecht zu halten, was damals vor und jetzt hinter uns, lag. Das war
Wie mit den Figuren auf den Häuserdächern: Zwischen ihnen und mir tobte der Schneesturm, aber auf dem Foto sah man ihn nicht mehr
Oder die Frau mit dem verwehten Haar: Sie dominierte das Straßenbild und nun verschmolz sie mit dem grauen Häusermeer, wie
Russ. Konzeptionalismus, weiß auf weißem Papier
Kajetsja, ani tschastlivy
Freie Übersetzung: Mir schien, sie waren glücklich

18. September 2018 21:42










Hans Thill

Der Simplon sagt

die Vögel frieren nicht
sie haben Beine, dünn
wie Streichhölzer

Die Streichhölzer frieren nicht
sie setzen ein Ölfaß
in Brand

Das Ölfaß friert nicht
es ist der verstorbene Faun
aus verstorbenen Meeren

20. September 2018 12:57










Björn Kiehne

Mondscheinallee

Am Ende der Straße
liegt das Café,
der Abend ruht sich
auf der Markise aus,
ein müder Wind
weht Blätter hinein,
Briefe aus der Vergangenheit.
„Wo wir sind, ist immer Sommer“,
flüsterst du und lächelst;
„Wo wir sind…“, beginne ich
und schweige,
als der Vorhang der Nacht
sich senkt und,
aus dem Faltenwurf
seiner Stille,
der Mond aufsteigt,
mildes Licht über
die Erinnerungen gießt,
über uns, über das Café,
über all die Jahre in
der Mondscheinallee.

Für Connie

23. September 2018 12:58










Christian Lorenz Müller

GEHEIMNIS DES SAUFENS (München, Theresienwiese)

Rund um die U-Bahn-Station
ein lärmendes Geläute
aus Dirndlröcken.
Angetrunkene in Lederhosen
ziehen an den Schürzenbändern,
klingeln Flaschenklöppel aneinander.

Der Gottesdienst beginnt in wenigen Minuten.
Schon sinken die ersten auf die Knie,
beugen, biergläubig, ihr Haupt.
Sie stehen wieder auf, schwanken weiter,
der Gegenwart eines Gottes zu,
dreieinig aus Gerste, Hopfen, Malz.
In tausenden irdener Monstranzen
wird er immer wieder in die Luft gehalten,
höher noch und höher.
Im Rausch, dem Allmächtigen,
wird jede Seele gesund –

Geheimnis des Saufens, das ein Nüchterner
nicht zu verstehen vermag.

25. September 2018 10:03










Mirko Bonné

Brinkmann in Westerstede

Den Opel eines Mitschülers hatte er
in Ocholt gegen einen Poller gesetzt,
keinen Muckser mehr tat der Rekord,
und ein Dichter kannte sich nicht gut
mit Autos aus, so wenig wie in Ocholt,
aber am Bahnhof sah er, die Schmal-
spurbahn fuhr zu der Stadt, wo Hardy
Frerichs wohnte, Westerstede, Brink-
mann war dort die ganzen Jahre nie
gewesen, jetzt sah er auch, weshalb,
die Gleise, die Lok, die Waggons, so
grotesk, am besten wegrennen, weg,
aber das hätte Hardys Kutsche kaum
heilgemacht, außerdem hatte er Kohl-
dampf, zuletzt ja am Morgen in Vechta
ein Schinkenbrot auf die Hand gehabt,
er dachte an die Küche, das Licht und
den Güllegeruch seiner Jugend, Gülle
for ever, o Jesus, zum Glück bald over
and out, er würde Essener sein, dachte
Rolf Dieter Brinkmann, als der lachhafte
Zug ihn durch Westerstede gondelte und
er dieselben stillen Straßen an dem Sonn-
tagmittag sah und dieselben paar people
wie im Schweinezüchterparadies Vechta.
Standen im Nieseln da und sahen ihn an.
Gespenst aus dem Dampf enger Träume.

*

26. September 2018 17:00










Christine Kappe

Jackson in M.D.

Am 18. August 1984 kam Michael Jackson nach M.D.
das ist ein kleines Dorf am Rande des Sollings
mit gerade mal 2000 Einwohnern
Jackson war kleiner als ich, hatte sich
einzelne Ponysträhnen im Gesicht festgeklebt
damit sie nicht verrutschten und
schwitzte die ganze Zeit in einer braunen Lederjacke
Keiner traute sich ihn anzusprechen
noch nichteinmal für ein Autogramm
Um 9 Uhr abends gingen die meisten Leute ins Bett
weil sie bereits um 4 Uhr morgens
die Tiere versorgen mussten
Ich hatte noch Hausaufgaben zu machen
Aber mit der Michael-Jackson-Federmappe
und dem Michael-Jackson-Block von meiner
Cousine kam ich mir blöd vor
So warteten ich, bis er wieder wegwar
Er sprach übrigens die ganze Zeit kein Wort

29. September 2018 06:17