Mirko Bonné

Drei Herzporträts

Herz, ausgeschlagen
mit Tapeten aus Tränen
   für Woche für Woche
ferner, fernere Kinder.

Herz, wild pulsierender
Fisch, Dornenbarsch, da
   in dem purpurnen Krug
der Brust, des Luftkorbs.

Herz, das dich sieht, ja,
Auge ist es auch, Auge,
   gläsern Funkelkörper,
inmitten von allem da.

*

2. März 2019 00:01










Gerald Koll

Aikido in der westlichen Kultur (7)

 

 

 

 

Der Verkündigungsengel aus dem Polyptychon Averoldi (1522, Santi Nazaro e Celso, Brescia) von Tiziano Vecellio belegt einmal mehr den eminenten und frühen Einfluss der westlichen Kultur auf das japanische Aikido (siehe dazu die hier erschienene gleichnamige Reihe aus dem Jahr 2013). Die Ausführung des tenchi-nage (Himmel-Erde-Wurf) ist hinsichtlich der Körperhaltung, der Gewichtsverlagerung, des Blicks und der schweigsamen und doch unübersehbaren Botschaft an den Partner vorbildlich.

 

8. März 2019 13:58










Gerald Koll

Always keep your bowler on in times of stress

 

 

Irgendwie bedrückend, dass es zuende ist. Gestern beendete ich die zweite Blu-Ray-Edition von „The Avengers“ (eigentlich fand ich den deutschen Verleihtitel „Mit Schirm, Charme und Melone“ immer … charmant, aber das Original überzeugt denn doch, vor allem wegen der Originalstimmen, die eminent diskreter und intelligenter wirken als die vorlauten deutschen Synchronstimmen, die außerdem so hallig waren). Gestern also verabschiedete ich mich, wie man so sagt, „schweren Herzens“ von der allabendlichen Dosis. Zwei Boxen lang ging ich täglich glücklich zu Bett, geleitet von der schwarzweißen Politur der ersten Edition, die in den schönsten Episoden ein feiner Duft aus hundertjährigem Moos und frischer Ledercreme umwehte, bis zum tollkühnen Kolorit der zweiten, die allen britischen Spleens ein Denkmal setzte. Was jetzt?

Fortan würde ich einfach wieder irgendwie in den Schlaf stolpern, ungeküsst von jener stilsicheren Verspieltheit, die sich vom Bösen nie den Humor verderben ließ und jeden schändlichen Anschlag mit dem Klang von Sektgläsern beantwortete.

Gewiss, es war unfein vom Hersteller „Studio Canal“, der teuren deutschen Edition keine deutschen Untertitel zuzubilligen und die eingesparten Kosten auf überflüssige „Einführungen“ von Oliver Kalkofe & Co. zu verschwenden.

Und es war schon beinah frech, ausgerechnet die Farewell-Episode für Emma Peel („The Forget-Me-Knot“) nicht in die Edition 2 aufzunehmen (mit der nur für Buchhalter-Gemüter verständlichen Begründung, diese Episode gehöre bereits zur nächsten Staffel, also Edition 3 mit John Steed & Tara King, Peels nicht-ebenbürtiger Nachfolgerin; sie, die Edition, ist derzeit für 25,- EUR zu haben). Denn nie war es zwischen Steed und Peel so zartfühlend und gänzlich jeder Ironie entkleidet zugegangen wie am Ende von „The Forget-Me-Knot“, genauer: in jenem Moment, als die scheidende Mrs. Emma Peel mit versagender Stimme Steed zuflüsterte: „Always keep your bowler on in times of stress“ – und sich dieses ewig flirtende, nie der trivialen Versuchung erlegene Liebespaar einen letzten hauchflüchtigen Kuss auf die Mundwinkel tupfte.

„Studio Canal“ beweist an dieser Stelle Mitgefühl, für das man danken muss. Das romantischste Lebewohl der (mindestens Fernsehserien-)Geschichte befindet sich in der Edition 2 in einem der Extras.

13. März 2019 11:43










Konstantin Ames

Selbst I/18

Zugleich eine Ansichtskarte für deine Akademieklasse, ehrenwerter und sehr nobler Lürke, mit der Girlanden-Frage, was dich anderer Leute Kappes kratzt …
Wohl eine Herausangeberkrankheit? Du hast noch immer diese olle Tröte?! Die hättest du doch beim letzten Potlatch tauschen sollen gegen einen Stuhl, wenigstens einen. Werd endlich den ranzigen Sessel los! Dass ich mir um deinen Poppes noch immer Sorgen machen muss, mein Mörikeopferdchen …

Bussi, baba, ob-la-di-o-bla-da!

Deine Kotzntante Un Dob

Selbstanzeige: Die Thomaskunst wird hier Mehrfachverwertung von Poesie wittern …
Ruhig meinem Verlegenden melden.

14. März 2019 10:06










Mirko Bonné

Gärten in Bad Z.

Jeder Garten ist ein Grab. Emerson

Trockengarten … Jahreszeitengarten … Formgehölze-
garten … Weißer Garten … Farngarten … Mediterraner
Garten … Spiegelgarten … Leben und Arbeiten im
Garten … Sterben im Garten … Japangarten …
Chinagarten … Rosengarten … Waldgarten … Koi-
Zen-Garten … Islamischer Garten … Islamistischer
Garten … Poolgarten … Zukunftsgarten … Vergan-
genheitsgarten … Gegenwartsgarten … Cottage-
Garten … Wildobstnaschgarten … Supermarkt-
garten … Gebrauchtwarengarten … Baumarkt-
garten … Heilender Garten … Mörderischer
Garten … Immergrüner Garten … Immer-
kahler Garten … Immerdunkler Garten …
Traumzeitgarten … Albtraumgarten … Schre-
bergarten … Schreibergarten … Schreigarten …
Wassergarten … Tränengarten … Skulpturengarten
… Ölgemäldegarten … Ölgarten … Heckengarten …
Heckenschützengarten … Kunstgarten … Duftgarten …
Schulgarten … Kindergarten … Phloxgarten … Kakteen-
garten … Blumenzwiebelgarten … Heidegarten … Bäuer-
licher Nutzgarten … Mechanikergarten … Politikergarten …
Partygarten … Zwerggarten … Fischgarten … Meeres-
grundgarten … Wellnessgarten … Krankenhaus-
garten … Fluchtgarten … Leerer Garten

*

18. März 2019 18:53










Christian Lorenz Müller

BEIM RENOVIEREN EINER GARTENPUMPE

Zieht mehrere tausend Mal
pro Jahr die Schulter nach oben
und lässt sie wieder sinken.
Schon die Kinder greifen gerne
nach ihrem Arm,
nach der gusseisernen Beständigkeit,
mit der sie ihn winters wie sommers
von sich streckt.

Sie braucht nicht mehr
als alle zehn Jahre ein wenig Lack
und eine neue Lederdichtung.

Eine immerzu ächzende und quietschende
Form von bescheidener Vollkommenheit,
die stets zuverlässig ihr Wasser
in die Kübel, die Kannen gießt.

21. März 2019 12:10










Tobias Schoofs

ERINNERUNG

erinner mich wenn ich dich les
an die feluke aus istanbul
die vor der mündung auf dem wasser
tanzt um die mitte des monats

mai wenn die sonne schon warm ist
und im süden schon nicht mehr
erträglich und das schlimmste
noch immer bevorsteht

erinner mich an die feluke
die auf dem wasser tanzt dass mir
die stimme nicht bricht wenn ich
dich les

(nach Motiven von Zeca Afonso)

21. März 2019 20:45










Mathias Jeschke

Ich lese in mir

Ein großformatiges Buch liegt
aufgeschlagen vor mir,
ich blicke auf das in einer halbwegs
senk- und waagerechten Struktur
sortierte Getümmel,
Collagen aus eingeklebten Texten,
Buchausschnitten, Zeitungsartikeln,
teilweise mit Fotos versehen,
Zeichnungen, die ich einst angefertigt hatte,
manche stammen auch von anderen,
von Pinseln hatte ich ja kürzlich geträumt,
gepresste Blüten und Blätter oder Federn,
von mir oder dir gesammelt,
Zeilen in meiner Handschrift,
immer wieder Zeilen in meiner Handschrift,
manche verwischt oder sonst unleserlich,
über einige krabbelt ein Käfer hinweg,
so ein Zierlicher Buntgrabläufer, glaub ich.
Ein wenig Sand rieselt auf die Tischplatte.
Das Holz ist warm, meine Hand liegt darauf.
Wer kommt, um sie zärtlich anzusehn?
Es handelt sich um eine intime Situation,
japanisch irgendwie,
wie in einem Nistkasten vielleicht.
Jedenfalls ist niemand sonst hier bei mir.
Und niemand sonst wird dieses Buch
je zu Gesicht bekommen.
Aber es leuchtet mir ein, wenn ich
die nächste Seite aufblättere,
wann immer das sein wird
und es mag einige Zeit dauern –
wer will, soll sich gedulden,
denn ich bin hier noch lange nicht fertig! -,
dann wird sich mit einem Mal –
und dabei wird die Farbe Schwarz
einen eindrucksvollen Auftritt haben:
Szenario aus Seide und Katano –
alles verändern.

21. März 2019 23:24










Gerald Koll

Schälchen

 

Und eben an der Kasse.

Da stelle ich mich hin,

und mir wird beinah schlecht.

 

Weil ich in einer Pfütze stehe

bis zu den Nasennebenhöhlen.

In einer Pfütze Körpernebel,

 

die der dicke Kunde vor mir

stehen ließ.

Er hat ja nicht einmal gefurzt,

 

er stand nur da und zahlte seinen Kram,

dreiunddreißig Schälchen Katzenfutter,

vier Pakete Zigaretten,

 

aber er stand da,

in seinen verstunkenen Hosen

und seinem verstunkenen Hemd,

 

und wollte nicht glauben, dass die Brötchen

nicht mehr 14 Cent kosten, sondern 15,

während der Gestank sich ausgoss wie ein Geist

 

und stehen blieb, als die Hülle heimging.

Dort war mein Platz, der Platz des Nächsten.

Nächstenliebe, was ist das?

28. März 2019 12:47










Mirko Bonné

Wie et mir jeht

Und eben an der Kasse.
Da stelle ich mich hin, und
mir wird beinah leicht ums Herz.

Weil ich so allein dastehe
bis zu den Nasennebenhöhlen.
Allein an einer Art Nebel,
 
die der dicke Kunde vor mir
nicht zu verdicken weiß.
Er hat ja nicht mal gefurzt,
 
stand nur da und zahlte seinen Kram,
dreiunddreißig Schälchen Katzenfutter,
vier Pakete Zigaretten,
 
aber er stand da,
in seinen verstunkenen Hosen
und seinem verstunkenen Hemd,
 
und wollte nicht glauben, dass die Brötchen
nicht mehr 14 Cent kosten, sondern 15,
während der Gestank sich ausgoss wie ein Geist

und stehen blieb, als er nach Hause ging.
Das war kurz mein Platz, Platz vor der Kasse.
He, mein Alter, wie jeht et dir heute?

Nach Gerald Koll

28. März 2019 23:56










Gerald Koll

Agnès Varda (1928-2019)

29. März 2019 15:13










Andreas Louis Seyerlein

~

0.28 — Gestern, am späten Abend, habe ich wieder ein­mal den Ver­such unter­nom­men, das Wort Stre­ich­holz so lange wie möglich in meinem Kopf hin und her zu bewe­gen, ohne indessen ein weit­eres Wort zu denken. Kurz darauf habe ich meinen Ver­such wieder­holt, in dem ich das Wort Stre­ich­holz durch das Wort Nashornkäfer erset­zte, eben­solch­es eine Zehn­tel­stunde später durch das Wort Cole­porter, welch­es selb­st kurz vor Mit­ter­nacht im Wort­loop der Hibiskus­blüte endete. Vorgestern noch hat­te ich eine ähn­liche Nachtübung durchge­führt. Wörter waren fol­gende gewe­sen: Samshep­ard, Agnesvarda, Hum­mer­vo­gel, Tic­tac­to, Lep­orel­lo. Ich stelle fest: Die lang anhal­tende Wieder­hol­ung des Wortes Lep­orel­lo bewirkt in mein­er Seele noch immer ein­er­seits ein deut­lich­es Gefühl von Hitze, ander­seits eine Ahnung der Farbe Gelb­o­r­ange, ohne dass diese Farbe selb­st vor meinem inneren Auge sicht­bar wer­den würde. Warum? — stop

> particles

30. März 2019 20:05