Julia Trompeter

Was zum Aufklappen

Katz und Hund am Frühstückstisch:
wohin ist die blaue Tasse entwischt?
Das Radio spielt keine Rolle, ist echt —
mit allen Fake-News hat es Recht,
objekthaft in der Küchennische.

Sie umfassen einander, liebestief,
ein hellbunter Vogel macht piep
und denkt, er sei eine Ente.
Falsche Ordnung, kind-crossing
früh am Morgen, zwanzig nach sechs.

Wo ist der Garten — mit Rutschbahn
hinunter vom vierten Stock?
Wo ist der Rosenstrauch,
der zum Aufklappen? Ja, o ja:
den brauchen sie auch.

6. März 2020 09:03










Hendrik Rost

Am Ende des Regenbogens ein Topf Spekulationen

11. März 2020 15:47










Mirko Bonné

Remis

Einen warmen Klumpen
im Bauch
und auf den Lippen
wie die Haut
die nachts nachwächst
tagsüber bearbeitet
von Schneidezähnen
deine Lippen

Lippen
Remis
Lippen

Sag nichts mehr
Nicht
dass die Blätter
an den Zweigenden
im Zwist mit dem Wind liegen
Es ist ein Spiel
und im März
folgt die Revanche

Revanche
Remis
Revanche

Sag nicht
alles ist gut
Nicht
dass der Hund
die Tollwut hat
wenn er dich anfällt
im Schlaf
Er kennt nur deine Träume

Träume
Remis
Träume

aus: Różewicz-Lieder

*

13. März 2020 18:49










Björn Kiehne

Abnehmender Mond

Mehr ist es nicht,
nur Nachrichten aus
der unbewohnten Welt,

die Einsamkeit
der Leuchttürme,
die anstrahlt,
was Gletscher
uns freigeben:

allmähliche Wesen,
Anfänge und Enden,

den abnehmenden Mond
an unseren stillen Stränden.

15. März 2020 15:09










Christian Lorenz Müller

AUSGANGSBESCHRÄNKUNG

Dieses Frühlingsgedicht
streift ganz allein durch die Stadt.
Leere schwankt an den Halteschlaufen
der vorbeifahrenden Busse.
Niemand, der eine Dose, eine Tüte
in die schwarzen Löcher
der Abfalleimer wirft.
Was an Leben übrig geblieben ist
flattert als Taubenschwarm
hinauf auf die Dächer. Das Gedicht
blickt hinauf ins Blau. Nirgends
auch nur ein Kondensstreifen-Kratzer.

Neben einer Bank steht eine Forsythie
in einer gelben Warnweste:
Füße vertreten erlaubt,
längerer Aufenthalt im Freien verboten!
Das Gedicht macht sich auf den Weg
in seine Wohnung.
Wieder leere Busse. Wenn sie anhalten
öffnen die Türen automatisch.
Die warme Frühlingsluft drängt hinein
und wird abtransportiert.
Frierend eilt das Gedicht
zurück nach Hause.

17. März 2020 10:04










Hendrik Rost

Posthumaner Berufsverkehr in Hamburg

20. März 2020 06:32










Konstantin Ames

Stadtfrühlingslied (nach Laurenz von Schnüffis „Auf, träge Seel!“)

Versammlungen von mehr als 1 Vogel + 1 Vogel + 1 Vogelgel
sind Vorboten. Mit Preisen übersäte Gedichte sollten sich diesem hier
nicht zu sehr nähern. Anthologien sind aus hygienischen Gründen sofort
aufzulösen. Auf der Salzsäule da steht Salzsäure.

Alle Hosen sind schon Hemd, alle Hemden Hose.

Euer Kaufleuteminister entsichert für Gedichte keine Bazooka, nur
Handfeuerwaffen … wenn Ex-Expressionisten das Wort (auf Skiern)
Kultur hören, entsichern sie ihre Elisabeth Browning. Eure
Geduld mit uns ist erschöpft. Barrikaden aus Klopapier, Atemmasken, Mehl.

Alle Hosen sind schon Hemd, alle Hemden Hose.

20. März 2020 12:06










Mirko Bonné

Krise

Im Innenhof blüht in der Krise
um Ansteckung, Atemabstände,
Hustentod, Ausgangssperren
Passierscheine und Liefer-
engpässe rosig, rot bis
lila abends bei Dämmern,
luftig aufgefächert ein Baum,
darin scharen sich wild umeinander
die jungen Stare zusammen und erfinden
bis tief in die Nacht hinein ihre unverstanden
wunderherrlichen Lieder. Es ist Zeit. Zeit ist es.
Zeit, Zeit, singen sie grün funkelnd und achten
weder des Lärms von den Balkonen noch
der Stille. Baum. Blüht. Ist Blütenkleid.
Traum. Zeit. Traum immer wieder.

Für Konstantin Ames

*

20. März 2020 22:57










Andreas H. Drescher

Complicius im Kapp-Putsch

21. März 2020 23:37










Hans Thill

Textikel

DAS QUECKSILBER, so rasch wie edel, insgesamt Metall. Wir aßen von Gabeln. Wir sagten Geben Geben Geben, es war im Krieg im Kreis der Familie, als das Fieber aufkam. Man geht spazieren am Fluß und oft sind die Überbringer von Nachrichten weiblich, haben auch sonst ein lockeres Geld, mal braun mal weiß aus dem Täschchen die grünen Scheine. Mit etwas Kraft ist der Schuh schon gelöst, auch wenn die Bindung ein Kleber ist, der noch mit den Jahren härtet. Den Boden berühren ist eine Kunst, ebenso die Sprünge der Temperatur, es war Oktober, ein Anfang mit herbem schmalem Gold. Das Fracksilber. Das Klappsilber. Das Sprungeisen

22. März 2020 11:41










Christian Lorenz Müller

DRINGENDE INFORMATION DES SPRACHGESUNDHEITSAMTS!

Das Wichtigste ist es jetzt, Distanz zu halten!
Ein Wort steckt zwingend das andere an,
ohne konsequente Abgrenzung
ist das nicht zu vermeiden!
Großversammlungen von über tausend Wörtern
sind schon seit langem verboten:
Alle Romane, Novellen, Erzählungen!
Einhundert Wörter waren vorletzte Woche noch erlaubt,
also die allermeisten Gedichte,
ein paar kurze Sagen oder Märchen.

Ab sofort wird die Versammlungsfreiheit
auf fünf Wörter eingeschränkt!

Schreiben Sie bis auf Weiteres nur mehr
unvollständige Aphorismen oder halbe Haikus.
Verzichten Sie insbesondere auf Konjunktionen.
Übertriebene Komposita werden sofort
von der Polizei aufgelöst, Adjektivpartys
mit hohen Bußgeldern belegt.

23. März 2020 09:03










Hendrik Rost

Absence of Evidence is not Evidence of Absence

24. März 2020 08:15










Konstantin Ames

Postpoetry fürs Ellbogengesellschaf

Es gibt sie also doch. Klein oder in Erwachsechsenschrift. Lustiges Spreu.
Zur Lyrik aufgedonnert. Ohne spürbares Publikum.
Drei. Eh. Gähn.
Sie muss. Elektrisch. Und sie muss nicht neu sein, nur scheu.
Wir wollen husten gehen, kumm!
Feil. Eh. Gähn.
Q. Wissen Sie, was mich etwas beunruhigt, hm?
I. Was denn? Na? Ey, ich, also, ich muss zur Simulacrenschicht …
Q. DIE SEUCHE! DIE SEUCHE! DIE SEUCHE!
Feil Butter, das letzte systemrelevante Zeitungsgedicht.

25. März 2020 10:51










Hendrik Rost

Sofortmaßnahmen

Immer wenn ich gut drauf bin,
krieg ich Schnittstellen. Monströs viele mögliche Symptome, nur weil es Risikolippen gibt.

Ich summe dann ein Leid für die klinischen Götter in mir: Macht mich, olala, immun gegen unverrichtete Sinne.

27. März 2020 05:56










Christine Kappe

Es ist alles sinnlos geworden

Es ist alles sinnlos geworden
Schon das Datum stimmt nicht
Ich bin wieder nachhause gefahren deswegen
Einen Kuss wolltest du mir nicht geben
Deine Mutter heute morgen mit dem Krankenwagen weg
Verdacht auf Corona
Dein Vater versteckte die Haustürschlüssel und verstand das alles nicht
Dabei untermauerten wir doch seine Verschwörungstheorie
Mit Gesichtsmasken und Einmalhandschuhen
Jetzt wartest du dort, dass die Straßenlampen ausgehen
Vorhin die ganze Zeit nur aufs Navi geglotzt
Als ob du den Weg zu deinen Eltern nicht wüsstest
Zu jedem Abzweig noch eine Geschichte gehabt
Während Google nur wusste, wieviel länger alles dauert
Im Vergleich zum direkten Weg
Ins Nirwana

30. März 2020 03:28










Konstantin Ames

Näh-nä-nä-nänie

M c
O h
R r
G i
E s
N t

Wer ist der MC? Wer die Orgie?
Doch nicht die Kirschenkleinschreiber!
Nicht die Rotzer, nicht die Stutzer, nicht
die Häusleausbauer, die Ansager nicht
die 100 neuen Messerschmidtchen
die Aufsager, die Absager, die – – –

S i
T a
E i
R a
N n

21 Raben husten dir heut was, die Behändigung
des mittelhochdeutschen Wachssinns
hat mit dir begonnen, keine
Immelmannkurven waren
eleganter als deine zwo Esel
voll selbstgenähter Hustschutzmasken

Münchens großem Sohn, gestorben am 31. März 1914

31. März 2020 10:32










Mirko Bonné

Schuhe des Morgensterns

Er bewegte den Himmel und das Wesen der See,
und aus den Wäldern kam Schroffheit.
Er kannte das Muster aller verwehten Blätter,
die vielfachen kleinen Schatten. Er benötigte
Glanz und Größe auf der langen Hinreise,
und seine Bestrebungen – ein Mondaussetzer,
die kaputtesten Bäume. Der niedrige Horizont
verblüffte wie ein Kind. Widerhallen drang zu ihm
aus der belagerten Stadt. Sie glich einem Regen,
die Welt, und seine Augen liebten Verschwommnes.

Emma Lew

*

31. März 2020 13:05