Hans Thill
DAS KIND, ein Licht kann es locken, der Kopf einer Blume. Wir suchen die Wahrheit im erschrockenen Wort. Das Kind mit der Schraube im Mund, es will sie schlucken. Ein Gewinde von sieben Zoll Steigung, das Fahrrad ist längst geklaut, man schiebt es am Läuterungsberg. Dante, ein Knabe von vier und schon in der Hölle? Es geht Zoll um Zoll, wir geben nicht nach. Das Auge nimmt Maß, Dante greift in die Vollen. Der letzte, der das Licht löscht, als wäre es das Schwarze unterm Nagel, ist der Mönch, ein barfüßiges Etwas, nicht viel mehr als das Kind.
1. April 2020 08:25
Christian Lorenz Müller
Mehrmals kunstvoll
rund um den Park gewickelt,
um dieses gigantische Bukett
aus Magnolien, Zierkirschen, Forsythien
das niemand abholt.
Tief durchhängend
sperrt es den Eingang
zum Spielplatz, Springseil
allein für den Wind.
Straff über den Platz
gespannte Saite. Keiner hört
die schrägen Bogenstriche
der Regenschauer.
3. April 2020 12:02
Andreas Louis Seyerlein
22.02 UTC – Ich hab mich auf den Weg gemacht durch meine Stadt. Ich dachte noch, Du wirst diese Stadt spazieren, ohne sie zu berühren mit Deinen Händen, keinen Menschen berühren, keine Straßenbahn, keine Häuserwand, keine Kaffeetasse, keinen Knopf, kein Geländer. Mit dieser Vorstellung im Kopf ging ich los, Hände in den Hosentaschen. Schon einmal hab ich so etwas versucht, da wars nur ein Spiel, in einem New Yorker Subwayzug mit geschlossenen Augen freihändig zu stehen und zu balancieren, sagen wir eine zweistündige Fahrt mit der Linie D von Coney Island rauf zum Bedford Park Boulevard. Das Reiten auf einem wilden Tier. Vielleicht könnte ich sagen, dass das Erlernen einer Subwaystrecke, das neuronale Verzeichnen ihrer Steigungen, ihrer Gefälle, ihrer Kurven, auch ihrer feinsten Unebenheiten, dem wortgetreuen Studium eines Romantextes vergleichbar ist. Aber dann die Zufälle des Alltages, das nicht Berechenbare, ein Tunnelvogel, eine schmutzige Möwe, Höhe 135. Straße, die den Zug zur Bremsung zwingt, Eigenarten des Zuges selbst, das unvorhersehbare Verhalten zusteigender Fahrgastpersonen, eine Jazzband, wie ich dringend darum bitte, man möge nicht näher kommen. — stop
> particles
6. April 2020 21:10
Christian Lorenz Müller
Dieses Gedicht befolgt
alle derzeit gültigen Regeln.
Es hält strikten Abstand
zu sämtlichen anderen Texten.
Durch eine Atemschutzmaske
niedriger Ironieklasse
bewahrt es seine Umwelt
vor hochinfektiösen Metaphern.
Seine Sprache ist klar
wie das Plexiglas
vor den Supermarktkassen.
„Immer prosaisch, immer vernünftig sein“,
sagt sich das Gedicht –
und dennoch träumt es
von Versen, die die Poesie-Promenade
hinunterbummeln, Hand in Hand
unter blühenden Kastanien.
8. April 2020 09:16
Thorsten Krämer
Wie kannst du kabellos beleuchten?
Rötet sich deine Haut beim Baden?
Wirst du beim Fahren von den hellen Lichtern geblendet?
Brennt, juckt deine Haut nach dem Baden?
Ist nirgendwo eine Atemmaske verfügbar?
Ist dein Auto verbeult?
Würdest du dich vor dem Virus schützen?
Magst du Wellness?
Würdest du die Epidemie vorbeugen?
Stört dich, dass deine Zähne nicht schön sind?
Ist es dunkel um dein Haus herum?
Oh, nein, warum kannst du nicht gerade sitzen?
Kann das CORONAVIRUS vorgebeugt werden?
Fährst du viel mit öffentlichen Verkehrsmitteln?
Ist die Atemmaske ausverkauft?
Kennst du den Gürtel, der GERADE Haltung spendet?
Hast du Angst vor Krankheit?
Sind alle Atemmasken ausverkauft?
Möchtest du zu Hause Wellness genießen?
Droht CORONAVIRUS?
Sind BEULEN auf dein Auto?
Magst du montieren, basteln?
Bist du heikel auf dein Auto?
Droht CORONAVIRUS?
Lebensgefahr wegen der grellen Lichter am Lenkrad?
Ist STÖRENDE Delle auf dein Auto?
Musst du deine schlechten Zähne bemänteln?
8. April 2020 10:57
Konstantin Ames
Kurzfristig seien EU-Hilfen für Italien wohl notwendig
doch das eigentliche Problem
lasse sich damit nicht lösen, sagte der Wirtschafts- und Finanz…ler
X van Y dem deutschen Landfunk. Das Land müsse endlich
FDP-General: „Es gibt keine Bonds-Pflicht, um solidarisch zu sein.“
Wer anpackt, bekommt weiter BAföG
Was das Virus mit uns macht
Was das Wir mit uns/ Macht
wettbewerbewerbsfähig werden. Darum sollten Kredite eigentlich
mit Auflagen vergeben werden.
Ob die Parousie am Sonntag endet, dem Bourgeois (etwas) vergeben wird?
Ob Blixas Ententrainer endlich hart durchgreifen?
In Wehrden sind sie noch nicht soweit.
Was sagt der Hegellesekreis den ethischen Hähnchen?
Was sagt der Hegellesekreis den ethischen Hähnchen nach Abhören der Eroica?
Für Thorsten Krämer und Mirko Bonné
8. April 2020 16:39
Mirko Bonné
… darauf kann ich nur – nur? – mit einem Gedicht antworten, das vor einiger Zeit entstand, mir aber unverändert gültig erscheint, trotz der gegenwärtigen Lage, die so vieles in neue Bilder rückt. Es ist eine Variation auf Tadeusz Różewicz:
Lied aus allem
Die Dichtung
zieht sich zurück
tarnt sich versteckt
in ihrem Hinterhalt
aus Widerstand
und Hoffnung
Kein Schuss
kein Schrei
kein Spatz
Der Offenheit
der Dichtung
entgeht nichts
auch du nicht
Lies oder nicht
– sie liest dich
Die Dichtung
hat ausgedient
ist frei ist frei
Die Theorie
behaltet sie
Die Dichtung
ist ein Gedicht
das Lied aus allem
das sich selbst singt
*
9. April 2020 01:50
Konstantin Ames
werdet es schon schaukeln, das durchdichtete Pferd. Da habt ihr Stecken und Aeroplane.
wenn euch die Dramen ausgehen, schreibt ihr Treatments, Ansichtskarten, Romane.
gingen euch die Romanzen aus — gingen sie bloß — pflastertet ihr wieder Strände.
ob ihr die Wende feuchten Auges erlebtet und wie eure Gegenstände plötzlich
blaue Haare überwuchsen, fragen euch eure Hölderlinpuppen
und wohin bloß mit all diesen winzigen sternförmigen Schuppen?
hat das Alberne denn das Klicken überhört, das Klicken der Selbstschutzanlage?
18. April 2020 09:51
Hans Thill
Test spricht in Rätseln, schreibt in Rätseln, was er denkt, ist der Nachgeschmack einer gestrigen Tatsache. Test und Tatsachen? Nach einer halben Stunde ist das Haar noch nicht trocken. Beständige Gedanken machen ihn unruhig. Wird es schwierig, streitet er alles ab. Geistige Tatsachen von gestern. Test fragt sich, warum sie nicht längst aufgebraucht sind. Test sieht den Schmerz, den andere ertragen müssen. Auch der Schmerz ist ein Rest. Er vergeht wie ein Geräusch, oder er bleibt hängen. Test kennt keinen Schmerz, er weiß noch nicht mal wie man friert.
21. April 2020 20:51
Christian Lorenz Müller
Der zartrote Grund
der Apfelblüten. Dein glück-
lich hummelndes Herz.
Und du summst wie ein
Bienenstock. Schwärmen – wann, wenn
nicht jetzt im April.
22. April 2020 11:05
Andreas H. Drescher
^Mit / HÄTTe iCH P2rzelbä7mE g8scHlagen´
u,m dEin L5cheN zU h?ren
Mit 13 Vogelstimmen nachgeahmt
um dir einen Satz abzulocken
Mit 17 hätte ich Atemlosigkeit geübt
um dich auf dieses Luftloch aufmerksam zu machen
>Heute 3in icH Sc9.0n f10h a6cH nu1
i,N 5inem r4Um m1t dI3 zu l8s8n`
29. April 2020 08:36
Hendrik Rost
Die tatsächlichsten Tage liegen auf
dem Nachttisch; genauso habe ich
Leben mir vorgestellt? Nein! Irgendein
Bekloppter kommt mit einer Flöte
ins Zimmer. Ich so: Bist du das?
Und er spielt die Pausenmelodie
der Göttlichen Komödie. Er: Ja, ich.
Bringe Trost, bin selbst untröstlich.
Jetzt schließ die Sinne, entkopple dich.
29. April 2020 13:59