Björn Kiehne
Als wir schliefen
schlugen Wellen
über unsere Laken,
breitete sich das Watt
weit um uns aus,
suchte Wasser Wege
durch den Sand, Queller
erkundete neues Land.
Als wir schliefen
zogen Wildgänse
mit wildem Schrei
nach Norden,
streiften wir träumend
über die Salzwiesen,
bauten uns dort ein
Haus aus Gischt.
Als wir schliefen
entfernten sich
die letzten Inseln,
schwieg der Wind,
malten wir uns an
den Perlmutthimmel –
flüchtige Wolkenbilder
über das einsame Meer.
1. November 2020 16:28
Julia Trompeter
Vom Gebrauch eines Halms
Von langer Hand geplant der Mutter Erde dürr
seine Sprossen an der Wand zarte Fäden
duldsam ist kein gutes Wort hier nein
vor das Gesicht zu ziehen von Menschen
eine Krücke den ganz kleinen Käfern
ein Wedel ein Staub ein Krumen
seine Fäden den Spinnen ein Mast
und Trost im Herbst früher Abend
gesponnenes Gold der Marie
ein Sporn im großen Getriebe
das kann und das will das muss nicht
das ist nur ein Wunder ein kleines Gut
2. November 2020 14:41
Konstantin Ames
Wenn die Blätter Gesicht zeigen
klaffende Gesichte wie Kläffer
darf ich das dann als Zenmoment
begreifen wie ein lange Weiliger den Schleifstein?
Nö.
Wir müssen her hinterm schwatzroten Kaneinchen?
Aio.
Gehörte dir je irgendwas anderes als
diese Kladde mit Berichten
kritzelnder Hälse, übereinstimmend
nur darin: eben nicht zu sein dein Hals?
Näh.
Willst du halbtot gestochener Token vom Ragout kosten?
(Kaneinchen nach altem Ockhamʼschen Rezept)
What a thrill
…
5. November 2020 11:58
Christian Lorenz Müller
Gelb gischtet das Laub
durch den Garten.
Der Windgott wirft
die Ahornsamen, Sturmsegler,
gen Westen, Brandung röhrt
zwischen unsere Beine,
wir waten tief im Lärm,
retten uns landeinwärts,
wo kein Lüftchen sich regt,
wo der Windgott
in Arbeitshosen, Gummistiefeln
noch nicht wütet.
Für Joe Amersdorfer
6. November 2020 09:54
Tobias Schoofs
it was about beginning of September that
I among the rest of my neighbours heard
in ordinary discourse that the plague was
returned in Holland again; for it had been
violent there in particular at Amsterdam
and Rotterdam in 1663; whither they say it
was brought: some said from Italy others
from the Levant among some goods which
were brought home by their Turkey fleet
others said it was brought from Candia
others from Cyrus; it mattered not
from whence it came; but all agreed
it was come into Holland again
(Daniel Defoe)
8. November 2020 16:14
Julia Trompeter
Hände im Laub,
geschmückte Gesichter,
Laternenlicht.
Haben Sie den Aushang beachtet?
Bis auf weiteres dicht hier.
Niemand weiß so genau, aber.
Die guten Geister im Schnee,
ach so Schnee, ich dachte Laub?
Dieses Laub, es ist ebenfalls da.
Wir lagern das ein.
Die Stühle zurückgestellt.
So lang kein Gedicht geschrieben,
vergessen haben, wie die Zeilen fielen.
Ab morgen ist hier zu.
Wie die Wörter in den Schnee sanken,
überall Buchstaben,
deine vier und meine vier
im Schnee. Im Laub.
Im Blütenstaub von gestern.
19. November 2020 16:46
Mirko Bonné
Was Vincent hier malte – die Ruinen
von Montmajour, den Weg der Sterne
über der Rhône und das gestrandete
Wrack der Arena, die Cafés, die Leere
schwarzer Zimmer. Heißer Wind rannte
vor dem Gewitter her. Die Wellentiraden.
Baumwipfelgeheul. Rotes Licht schoss
durch den Strom. Die Hitze! Das Fiasko
der Hundstage in Arles. 13 Jahrzehnte
später stand ich auf einer Hotelterrasse
wie vor einer Nachtrede von der Mairie.
Sonnenblumen. Sonnenblumen. Efeu.
Berggarten – seine Lieblinge. Tant pis.
In einem dieser lichtlosen Zimmer lagen
wir im Streit umeinander die halbe Nacht,
zwischen uns den schwarzen Hund, der mir
in allem wilden Gleißen nachlief durch Arles.
Seit dem frühen Morgen war ich nicht allein.
Du schon. Mit den Starwolken an der Rhône.
Dem Fenster über der Buchhandlung am Kai,
das deins gewesen war. Höfen. La Roquette.
Dem Markt. Der Hitze! Irismauern. Nur mich
sah mein dunkler Köter und ich nur ihn, nicht
dich, als junge Frau im blauen Blütenschnee,
und später, als du wiederkamst. Vincent war
nie hier, und ich war blind. Liebling – désolé.
*
21. November 2020 01:50
Konstantin Ames
an Cocteaus Hotel vorbei
in der Metropole nebenan
fing sich in jedem Schnauzer
das Schluchzen des Einsamen
an Schiffsdiesel; Frittieröl Bruch
denkt meine Nase bloß wann
wollte ich den Namen wissen
des Kriegsschiffs am Cap Ferrat
anfangs schwamm ich raus
dann schwamm ich drüber
der Raubfisch sah mich satt wie er war
keine Suchmaschine findet wieder was ich fand
26. November 2020 13:35
Christian Lorenz Müller
Etwas schießt gegen die Scheibe.
Das splittrige Kratzen von Krallen
auf dem Fensterbrett, ein Schnabel
scherbt in die Luft,
weit aufgerissene Augen,
die nichts erkennen.
Dann sinkt der Vogel
zurück auf das Blech,
zittert für Minuten in Urin, in Kot,
kaum sichtbar streicht der Atem
durch die Federn, sanfter Wind,
der das winzige Wesen
forttragen wird.
Plötzlich glänzen die Augen auf,
voll Verwirrnis, Erschrecken
über das unmäßig große Gesicht
hinter der Scheibe,
ein Kratzen, ein Flügelsurren,
und schon sitzt der Vogel
drüben in der Fichte,
schaut noch einmal ängstlich herüber
bevor er verschwindet.
27. November 2020 09:23
Julia Trompeter
Niemand ist trauriger als ich.
Ich seh das Blau hinter den Wolken nicht.
Sitz im Stuhl fest eingebaut, ein Getriebe, das schweigt.
Meine Not ist ein Hund, ausgesetzt bei Mauerfall auf der falschen Seite der Welt.
Mittwochs esse ich einen Pfirsich, der nach Liebe schmeckt, doch nicht für mich.
Donnerstags denke ich an Freitag und immer so fort.
Niemand ist trauriger als ich.
In einem Kapsperlspiel bin ich das Kasperl.
Der Stuhl dreht sich zur Erde ein.
Mein Hund streift willenlos umher, umkreist die Stadt.
Samstags ruhen die einen, sonntags die anderen.
Ich ruhe nie, sondern schlafe einen einsamen Schlaf.
Niemand ist trauriger als ich.
Niemand sieht das Blau hinter den Wolken nicht.
Und steckt im Stuhl, fest eingebaut.
Niemand sucht seinen Hund nicht.
Niemand will mittwochs Pfirsiche, niemand.
In einem Kasperlspiel ist niemand das Kasperl.
Der Stuhl, ach ja, der Stuhl.
Kasperl ruht nie, sondern schläft einen einsamen Schlaf.
Niemand ist trauriger als Kasperl.
Und niemand ist trauriger als ich.
27. November 2020 13:56
Konstantin Ames
Als es mit dem Genie nicht so lief
Ging der Jung zur Krähe und rief –
(in Dillingen hupte nämlich die Hütt)
Ihn ansah das gesamte Krähengeblüt –
Weniger schrill, Krähe, kräh a tiefer!
In der Pause sind die Schaffer bes. rüd
27. November 2020 14:21
Hans Thill
Little we see in Nature that is ours;
Was hat die Natur hier am Bein?
Wir sehen sie mal ganz nackt, klein
wie sie ist, mit einem Ozean um
die Hüften aus Anstandsgründen.
Haben wir sie erschreckt?
Eher würden wir sie testen mit dem
fallenden Regen, der ihr applaudiert
29. November 2020 18:38
Konstantin Ames
ob die geflügelten Früchte des Acer platanoides
den Nashörnern gleichgestellt sind
die wir uns als Kinder auf die Rücken klebten?
Hobbes sagt dazu nix. Die Frage allein
scheint auch so negativ wie die Frage
ob der Pförtner an der Rentenversicherung
die mir eine düstere Zukunft zeichnet
den eigenen Chefsessel herauf rollt
aus der filmreif platonoiden Tiefgarage.
Oben äußern sich Dandys zu ihren Oboen.
30. November 2020 15:56