Er steht heute im Dunkel in meinem Keller,
der Glastisch, um den mein Vater und ich
herumstrichen, als es um alles ging, mein
Aufbegehren, seine Gewalt, letztendlich
um Worte, um Selbstbestimmung, was ich
und was er war und was er da spürbar
nicht länger hat zusammenballen können.
Mein Onkel will einmal seine Verlobte O.
derart gereizt haben, dass sie ihn hilflos
auf den Glastisch schleuderte, worauf der
zerbrach. Die gläserne Platte erneuert,
schoss mein Onkel die Frau zum Mond,
wollte sie nicht mehr, gab den Glastisch
mir und will seither nichts von ihm wissen.
Ich saß an dem Glastisch, hatte Stapel von
Steuerunterlagen vor mir, im Raum tobte
die Rasselbande, und es liefen Erik Saties
Descriptions automatiques. Für die Frau
meines Lebens seinerzeit sei das, sagt sie,
der eine Moment, in dem alles zerplatzte,
unser Leben, die Familie und ihre Zukunft.
Ein Junge war ich noch, immer unterwegs,
ich stieg in die Bäume, um alles zu lesen,
und einmal, durstig, sah ich durchs Fenster,
wie der Freund meiner Mutter geklammert
an den Glastisch zusammenbrach und starb.
Tot lag er auf der Couch neben dem Tisch,
ums Kinn ein Geschirrtuch, das ich kannte.
Ich kenne das Möbelgeschäft am Isarufer
von Tölz, aus dem der Glastisch stammt.
Ich weiß um seine Noblesse, weiß, er blitzt
in einem Zimmer, das ewig leblos scheint.
Chrombeine hat er, immer kalt, absolut glatt.
Er ist wie ein Fabeltier, das ausgerechnet
von meinem Leben alles mitangesehen hat.
Für Klaus Johannes Thies
*
29. April 2021 01:11