Björn Kiehne

Schlachtensee

Noch vor dem Licht
erwachen die Vögel,
Amseln, Drosseln, ein Specht,
der dem Tag seinen Takt gibt.

Vom Bahnhof fließt die Wiese zum
Ufer hinunter, hält ihre Halme
in den See, den der Wald
hütet wie sein Geheimnis.

Ein Haubentaucher zieht
Linien ins Wasser, schreibt:
Wenn Du willst ist alles
Botschaft, wenn Du willst,

kannst du mit jedem Kleidungsstück,
das Du an den Holunder hängst, etwas
aufgeben, weglassen, aufhören
jemand zu sein – verletzlich,

nur die Haut zwischen Dir und
dem See, breitet der Vogel,
der Dein Geist ist, seine Flügel aus,
fliegt heran und findet ein Zuhaus.

Für Joseph

1. September 2021 15:03










Thorsten Krämer

Ich aß ein Mettbrötchen in Hamm

auf dem Weg zu mir. Das war der Tag, als die
Züge streikten. Ich aß es schüchtern, nahm es kaum
aus der Tüte heraus, die Maske unters Kinn geschoben.

Man wird das später alles nicht verstehen – Maske?
Mett?
Bald bin ich 50. Ich aß ein Mettbrötchen in Hamm
und es schmeckte mir.

2.9.2021

2. September 2021 17:53










Mirko Bonné

Skorpion

Er trägt auf dem Rücken als Zeichnung
  ein einzelnes, blinzelndes, bewimpertes
Auge. Was es eräugt, fliegende, fliehende
  Beute, frisst er nicht. Er kann warten,
    wie Hitze, Gott warten. Er lähmt, zerrt
  alles Wände hoch in Staubwinkel. Im Stillen,
für dich, in deiner Stachelsprache, nenn ihn
  Mensch. Nur sprich das Wort nicht aus.

Für Andreas Altmann

*

16. September 2021 12:10










Konstantin Ames

50 silben

can′t get no sleep / silberfisc
raben schreien smog / inmitten der gaukler
aufschlag / die rosigen wa
unge männer harrn der erfrischu
schokoladenstaub in der nase, nachts
sich sicher sein / porös

19. September 2021 11:04










Christian Lorenz Müller

SEEKAJAKS

Ins Wasser gestellte Sessel,
ein Blau, das alle Grübeleien
leuchtend unterspült.
Wogig wirft sich die Zeit
über die Spritzdecken, verrinnt
ohne dass wir kentern.

Das weiß verwildernde Salz
auf unserer Haut,
das innere Kabbeln
nach einer gewagten Überfahrt.

Luvseite des Lebens,
wenn sich abends
der Wind in der Zeltplane fängt.
Brandung schäumt bis in unsere Träume.

Für Gabriele Kriks

21. September 2021 08:23










Andreas H. Drescher

SARG IM WALD (Ein Kapitel aus dem Roman „Schaumschwimmerin“)

21. September 2021 08:26










Christine Kappe

In 60 Stunden

„In 60 Stunden lernen, wie Deutschland funktioniert“
Dieses Lehrwerk hält nicht, was es verspricht
Aber eignet sich zum Dichten
Allein die Tatsache, welch Abenteuer es ist, einen Kurs einzurichten
Einen Raum zu finden
Zu behalten
Und jetzt sind wir hier in einem kleinen Raum in der oberen Etage eines großen, alten Hauses
Großen, leeren Hauses
In dem ab und zu ein Hausmeister herumspukt, den ich Angst habe, einzuschließen

26. September 2021 22:50