In Paraguay, sagt sie, habe man mit einem Anti-Wurmmittel gute
Erfahrungen gemacht. Es liege einem Vorsorgepaket bei, das auch
Aspirin und andere Medikamente enthalte und kostenlos an die
gesamte Bevölkerung verteilt werde. Bei uns hingegen: Nichts als
Zwang! Der Staat verkomme zur Lobby der Pharmaindustrie.
„Und wer stellt dein Wurmmittel her?“, frage ich gereizt. „Ein
Kräuterweiblein aus Paraguay? Aspirin stammt ja auch nicht
aus biologischer Landwirtschaft.“
Sie schluckt, bedeckt ihre Augen mit der rechten Hand und bittet
mich, sich nicht über sie lustig zu machen. Sie suche ja nur nach
Alternativen, das müsse doch noch erlaubt sein. Wer nicht
geimpft sei, habe es ohnehin schon so schwer.
Ich aber kann nicht an mich halten: „Wie wär’s denn mit Urlaub
in Asunción, bis alles vorbei ist? Oder gleich in Rio, wo es sowieso
nur eine leichte Grippe gibt?“
„Ich darf ja nicht mal mehr ins Flugzeug.“ Sie nimmt ihre Hand
von den Augen, die sich mit Tränen gefüllt haben. „Überall setzten sie mir zu.
In der Arbeit ist es kaum noch auszuhalten. Und jetzt auch noch du!“
Weinend läuft sie aus demWohnzimmer und schlägt die Tür hinter sich zu.
Ich weiß, was jetzt kommt: Sie sperrt sich ein, sie sitzt in
ängstigendem Dunkel auf der Toilette und taucht ihr Gesicht in
die weiße Corona ihres Handys, tröstend leuchtender Mond in
einem Universum finsterer Zusammenhänge, und schaut Videos,
in denen selbsternannte Experten über glückliche Länder wie
Paraguay berichten.
Später werde ich mich für meine harsche Art entschuldigen.
Wir werden uns vergeblich vornehmen, nicht mehr darüber
zu reden, wir, ein Paar, das zwanzig Jahre lang alles miteinander
geteilt hat, alles.
9. November 2021 12:23