Christian Lorenz Müller

POST-IT VOM GEDICHT

Dieses Gedicht ist misstrauisch gegen alles,
was spitz ist und einen Kolben hat –
auch gegen den Bleistift, an dessen Ende
sich doch nur ein Radiergummi befindet.
„Umso schlimmer“, protestiert das Gedicht.
„Wer sagt denn, dass Teile meiner lyrischen DNA
nicht gerade deshalb gelöscht werden?
Ausradieren, ist das nicht auch so ein Naziwort?“
Schon hängt es sich ein Schild um den Hals,
auf dem es sein Grundrecht
auf metaphorische Unversehrtheit verteidigt.

Genervt mache ich eine kurze Pause.
Als ich mich wieder an den Schreibtisch setze,
ist es fort. Auf einem Post-it steht,
dass es einen langen Spaziergang
unternommen habe, im deutschen Wald,
das stärke sein sprachliches Immunsystem.

1. Dezember 2021 10:12










Hans Thill

Zettel

4. Dezember 2021 11:43










Alexander Peer

Ausweispflicht

Der Tote konnte sich nicht ausweisen
stand in der Zeitung
und sagte viel darüber aus,
was am Menschsein heute als wichtig gilt;
nicht einmal der Tod scheint
Rettung davor zu sein.

 

aus dem soeben in der Reihe Limbus Lyrik erschienenen Gedichtband
„Gin zu Ende, achtzehn Uhr“

10. Dezember 2021 11:41










Konstantin Ames

Mal wi3der wie Astel

Kritiker rezensiert Glück
Glück hat einen Preis
Glück hat den Preis
Preist den Kritiker
der wo so viel von
Glück verstehn tut
aus

13. Dezember 2021 11:11










Andreas H. Drescher

Fronleichnam (Kapitel aus dem Roman „Schaumschwimmerin“)

17. Dezember 2021 09:26










Konstantin Ames

Bemäße sich an Freizeit Reichtum

reitet den Wald unter Wasser
pflanzt das Pferd im See
diesem Malus und neun andern
voll Trash entgegensehen

spricht Hochdeutsch mittags
nachts auf der Teufelsburg Platt
jagt aufm Drescherhai Niedfraß
sagt dir vor Istland sacht: matt

Für Andreas H. Drescher

22. Dezember 2021 10:01










Christian Lorenz Müller

GENAUSO WIE ZUVOR

Ich lasse mir das nicht länger gefallen,
sie stellen ständig neue Fallen auf, das ist bewiesen,
weissagen nicht die Sterne große Veränderungen,
warum ändern sie schon wieder die Bestimmungen,
Stimmungen werden zu Unrecht als irrational abgetan,
lasst uns was tun, malen wir ein Transparent,
Intransparenz bestimmt die Politik, ich habe es immer geahnt,
unsere Ahnen hatten ein widerstandsfähigeres Immunsystem,
Widerstand ist das wichtigste Gebot der Stunde,
stundenlang sind wir vor dem Parlament gestanden,
Parlamentarismus, ein Hohn bei diesem Abstimmungsverhalten,
Weihnachtsstimmung will da nicht aufkommen,
kommt alle zu den Demos, die sie uns verboten haben,
seht ihr nicht die Vorboten schlimmer Ereignisse,
was für ein ereignisloser Advent, wo es keinen Glühwein gibt,
gebt uns unsere Freiheit zurück, macht die Fesseln los,
macht, dass alles wieder so wird wie vorher,
vorher war ein gutes Leben, ich will doch nur
genauso leben wie zuvor.

22. Dezember 2021 12:22










Mirko Bonné

Leere

Die Leere in den Bibliotheken, in den Gärten, in Schulen: die Leere
   an der See, im silbernen Licht, die leeren Straßen, Märkte. Die Leere
in den Gesichtern, in den Sätzen, den Bergen, die Leere der Sainte-
   Victoire in den Zügen, im Schnee. Die Leere in den Träumen: Leere.
In den Liebesbekundungen, in den Klubs, Mails, Wolken, Stadien: die
    Leere. Am Himmel die Leere, auf den Wegen, in den Innenstädten,
den Schwimmbädern: Leere, wo ich stehe, wohin ich gehe, woher
    du kommst. Aus deiner Leere in meine. Die leeren Versprechungen,
Erinnerungen, die Leere im Wind, in den kahlen Bäumen, Lokalen,
    Perspektiven, Phrasen, Grünflächen: die Leere der hohlen Gesten.
Die Leere des Blicks da im Spiegel, in den Spielen der Kids und in
       den Kirchen, im Bus: die Leere, die leer ist, nichts weiter, nur leer.

*

22. Dezember 2021 21:01










Konstantin Ames

Halsfasten

lausige Spezies beinah
alles beieinander lassend
Brokat, Kolbenfresser
Gürkchen, Krokant

waren s Schnörkel genug

Herzchenbildung in den Feindschaften
hainerschütternder PRM-Ruf vom
ICE aus bretternd in die Feinschatten
dieses Längsgedichtstests: verf. negativ

war s leise genug gelesen

27. Dezember 2021 12:18