Sylvia Geist
„Aber: sonnig“
„In Hopkins Tagebüchern leuchtet oder klingt oder duftet fortwährend etwas heran, das ich-förmig ist, aber…, eine Wolke, aber…, ein Grasfleck, aber…, im Wind flackernde Blätter der Ume, aber…“, heißt es in dem Essayband „Die Geheimnislosigkeit“ von Peter Waterhouse.
Dieses Ich-Förmige bewegt sich leicht, nicht unmerklich, aber in einem Modus nahe daran. Es bewegt sich in der Tarnung von Landschaft, geht nicht hindurch, vorbei oder darüber hinweg, es wandelt und wird gewandelt, seinen Schritten, seinem Tempo, seiner Haltung nach. Auch die Landschaft wandelt sich im Bewegungsmodus des Wandlers, den man in den bei Waterhouse angeführten Passagen aus Hopkins Tagebüchern nicht als Ichsager wahrnimmt, sondern als das verschwiegene Ich-förmige der Landschaft, beide „gehen“ miteinander her, nebeneinander, komplementär in der Landschaft, die der Text zeigt, und sich gegenseitig komplettierend. Die Landschaft des Textes wäre nicht ohne ein Ich, aber es ist nun darin als eines, das gewandelt ist, als ein Aber-(Wolke-aber-Grasfleck-)Ich, das sich als gesehene und mitgeteilte Landschaft darstellt und gleichzeitig als ihr sehender und mitteilender Teil.
„Aber“ ist ein teilendes Wort. Es teilt einen Satz oder eine Satzfolge in Aussage und Einwand, abgrenzend und zugleich vermittelnd. Das Aber ist ein Tor, durch das das Andere in den Satz kommt und ihn wandelt, ein Wandelwort. Es bindet mindestens ebenso stark wie „und“, doch nicht durch Reihung. Es verselbständigt das in den Satz gebrachte Andere. Es ist ein Ichwort, gefürchtet und verfemt in Welten ohne Wenn und Aber, in totalitären Systemen, ein individualisierendes, emanzipatorisches Wort und doch eines, das auf den oder die anderen zurückgeht im Akt der Differenzierung: „Ja, du…, aber ich…“ und umgekehrt. Es führt zusammen, indem es auf eine Unterscheidung weist, signalisiert eine Alternative, eine weitere Denkbarkeit und wird in diesem Weiteren zu einem Wort mit zeitlicher Dimension. Ein gewandeltes Zeitwort?
Im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm wird die „uralte Partikel“ vom gothischen afar hergeleitet, das wiederum eine Fortbildung der Präposition af ist: „(…) aus dem in af enthaltnen Begriff der Senkung und des Niedergangs folgt der des nach, hinter und wieder (…) vielfach verwickelt ist die Anwendung der conjunction aber, wie sie aus dem Übergang des wieder in wider, des Wiederholens in ein Entgegnen erwachsen ist; fast immer läszt ein solches aber sich auch durch ein schleppenderes dagegen, hingegen, dahingegen verständigen.“ Welch ein Kippwort: dem Niedergang erwidert das Danach, das Wider-Aber taucht als ein „abermals“ auf. In den „tausend aber tausend Stimmen“, die bei Goethe „durch die Lüfte schwimmen“, ergänzt und verstärkt es die ohnehin schon symbolische Tausendzahl als Beiwort für Ungezähltes und fasst es in sich zusammen.
Manche Bedeutungsnuance hat sich im Lauf von Jahrhunderten scheinbar verloren, besonders in alten Wortverbindungen wie „Abersaat“ – die Aussaat zum Beispiel von Rüben, nachdem das Korn geerntet war, eine „Nachsaat“ also – oder, vielleicht am schönsten und am schwierigsten, zweischneidigsten, in „Aberwandel“, was das „Recht zurück zu gehen“ bedeutete, auch „Reukauf“ und „rückgängig machen“. Auf seiner positiven Deutungsseite wendet der Begriff den Rückstoß des Wider in die Rückgabe des Wiedergutmachens.
Seine volle Beweglichkeit erhält das Aber jedoch erst, wo es zum Verb „aberreden“ wird, hier reicht es vollends zum Anderen hinüber, wird, nun tatsächlich in Gestalt eines Zeitworts, wieder Partikel, Widerwort, getunnelt zur abgewandten Seite des Mondes: „delirare, gebildet wie aberkosen und gleicher Bedeutung: dis geschlecht der menschen, das also aberredt, verzuckt und nit bei im selbs ist.“
Steht „aberreden“ mit „abern“ in Verbindung? Dem Wörterbuch der Grimms zufolge ist „abern“ abgeleitet „von althochdeutsch avarôn, iterare“, oder von „àparên, wahrscheinlich regelascere“. Dann steht da noch: „Keinem von beiden verwandt scheint ein abern der Vogelsteller für locken, füttern (…): wo sich die zeislein, hänflein aufhalten; da wird ihnen mit mahen (mohn), hanf und anderm geäbert, und wann sie die speisen einmal oder zwei angenommen, werden die wände gerichtet.“
Plötzlich steht es wieder mitten in einer Landschaft, das Aber-Ich, antwortend, aberredend vielleicht, weiter gehend, weiteres auflesend in einer gewandelten Landschaft, die jetzt an etwas erinnert und in der auch „Sonne“ anders klingen kann, leichter oder nur licht: „ABER, sonnig, ein dem lat. apricus verwandtes, in unserer Sprache althergebrachtes Wort (…) In der Meinauer Naturlehre heiszt der Zephyrus waltwint oder âberer wint; und auch Zwingli sagt: so einer lang in dem schneeglanz gewandlet hat und demnach an aabre grüne ort kumt…“
„Heute ist aberes Wetter“ heißt: es ist sonnig, also es taut, der Schnee schmilzt, „es abert“. Doch und noch keine Wände in dieser Landschaft für die Vögel. Aber Vögel, und Bäume, Aprikosenbäume.
(Strahlung Sprache / Notizen)
9. März 2009 11:18