Sylvia Geist

Aus Milas Garten

Viermal haben wir uns getroffen. Ich habe mehrmals nachgezaehlt, weil es mir schwerfiel zu glauben, dass es nicht oefter war. Zuletzt sahen wir uns im vergangenen Oktober in Edenkoben, und es war wieder, als machte die Zeit einen kleinen Bogen um die Momente, die wir zusammen am Tisch sassen. Sie schaelte einen Apfel aus dem Garten hinterm Haus, und die sternfoermige Anordnung, in der sie die Schnitze auf einen Teller legte, erinnerte mich an ein Kindheitsgefuehl, eine Textur aus Geborgenheit und Geheimnis. Ob auch der Kuerbis, den sie mir spaeter schenkte, aus dem Garten stammte oder aber vom Markt, weiss ich nicht mehr, wahrscheinlich fragte ich gar nicht erst danach. Irgendwie ging ich davon aus, dass sie sich dieses Edenkobener Gartens laengst angenommen hatte, so dass dort nun mit allem Moeglichen zu rechnen war, auch mit Kuerbissen.
Der Garten ist Mila Haugovás Ort, Topos vieler ihrer Gedichte, das fruchtbare Hinterland ihrer Sprache, ihr „Traum von der Form“, wie sie in ihrem Zyklus „Der geschlossene Garten (der Sprache)“ schrieb. Geschlossen, wie eben ein Garten ist, eine Anlage, durch einen Zaun von der Strasse getrennt, von Hecken, Buschwerk und Nesseln geschuetzt, mit verletzlichen Grenzen zwischen den Nutz- und Blumenbeeten, zwischen Wegen und Wiesengrund, aber offen, ja gastlich fuer den Leser.
Heute ist Milas 70. Geburtstag. Ihr Garten waechst und ist voller Gaeste.

Mila Haugová

Garten: bedrohtes Nest
voller zarter soeben abgestreifter Eidechsenhaeute
im heissen Schatten gleitest du in mich
und nimmst mich samt der ganzen Insel.
unsere Koerper entfernen sich von der Sonne
weisser Trajekt Nadelkleid Lehm
die Eidechsenhaut trage ich mit mir.
ohne Koerper kann ich nicht gut sehen.
wir sagen Zuhause zu einem fremden Ort.

15.6.2000
(deutsch von Angela Repka)

14. Juni 2012 05:44