Kerstin Preiwuß
Das Vermächtnis
Wenn ich sterbe, so bestattet
Mich auf eines Kurhans Zinne,
Mitten in der breiten Steppe
Der geliebten Ukraine, –
Daß ich grenzenlose Felder
Und den Dnipr und seine Schnellen
Sehen kann und hören möge
Das Gebraus der großen Wellen.
Wenn sie von der Ukraine
Schwemmen fort ins Meer und schleppen
Feindesblut und Feindesleichen,
Dann verlaß’ ich Berg und Steppen,
Schwinge bis zum Gott empor mich
Von dem Sturme hingerissen
Um zu beten, – doch bis dahin
Will von keinem Gott ich wissen.
Ja, begrabt mich und erhebt euch,
Und zersprenget eure Ketten,
Und mit schlimmem Feindesblute
Möge sich die Freiheit röten!
Und am Tag, der euch die Freiheit
Und Verbrüderung wird schenken,
Möget ihr mit einem stillen,
Guten Worte mein gedenken.
Taras Schewtschenko (1814-1861), „Leibeigener und Intellektueller. Anerkannter Maler und gefeierter Autor. Volkstümlicher und europäischer Autor. Dichter von Blut und Tränen, Kosaken und unglücklichen Frauen, Steppe und Dnjepr. Begründer der modernen ukrainischen Literatur, Sprache und des Nationalbewusstseins. Nationalheiliger der Ukraine, aber auch Vorzeigeukrainer für die Sowjetmacht. … ‚Von den ersten Schuljahren an hören alle Ukrainer vom Weltruhm unseres großen Kobsars. Davon, dass seine Werke in Hunderte von Sprachen übersetzt sind (in der Regel schlecht). Davon, dass man überall auf der Welt sein Denkmal findet (in Paris, Rom, London, Washington, New York, Vancouver, Winnipeg, Buenos Aires – die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen); es gibt sogar Grund zu der Annahme, dass Schewtschenko hinsichtlich der Zahl der Denkmäler weltweit der absolute Champion unter den Dichtern ist. Was die schiere Masse an Bronze, Kupfer, Marmor, Granit oder Eisenbeton angeht, kann kein Dante oder Shakespeare mithalten‘, berichtet Juri Andruchowytsch.“
2012, dem Jahr der Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine, war sein 150. Todestag.
http://ukraine-nachrichten.de/taras-schewtschenko-ukrainischer-nationaldichter-sozialrevolutionäre-ikone-sowjetmacht-bohemien-trunkenbold-kein-fußballer-eine-würdigung-150-todestag_3064_meinungen-analysen
3. Februar 2014 21:32
Kerstin Preiwuß
„Das Tollste kommt, wenn die Alpträume zu Ende sind. Du, Kiew, kannst ein Lied davon singen.“
(aus: das letzte Territorium)
29. Januar 2014 20:33
Kerstin Preiwuß
sich das leben nehmen
von der hand
in den mund heben
von weiterem gar nicht zu reden
1. September 2013 11:50
Kerstin Preiwuß
außen ist welt immer das ganz nahe
der kater blickt gelb
der schnabel des vogels ist aus horn
sein auge eine blaue höhle
der rest verfällt
morgens ist das gras immer frisch
ich bewege mich so lange nicht
durch den mückenschwarm
bis ich ihn einatmen kann
lasst alle tiere über mich kommen
welt ist immer so
atemlos für einen moment
kann ich sagen
was ich erfahren habe
kann jeder ertragen
was ich ertrage ist das was ist
dieses gleichgewicht
beginnt unter der haut und
auf ihr spürt man es kaum
dazwischen ringt es mit mir
um nichts in der welt gebe ich es auf
(mit Dank an alle guten Menschen, Tiere und Geister im Künstlerhaus Edenkoben)
23. September 2011 12:33
Kerstin Preiwuß
ich habe gedeutet dem könig
bedeutet es nichts der gerüchteküche
bedeutet es alles sie meint
er hängt an seinem glück
er zieht am mond mit einer strippe
schwört er den untergang herauf,
sie hat mich ermahnt
du sollst nicht schwarzäugig unken
in dieser finsternis, ägyptisch
echoen die grillen, früher zikaden
immer an der wand lang
immer an der wand entlang
21. März 2011 14:52
Kerstin Preiwuß
mit einer stahlfeder in den himmel gekratzt
der himmel wie ein blatt
papier dahinter
ist alles ganz schwarz
25. November 2010 11:41
Kerstin Preiwuß
mein kopf, eine schale, kein haus
aber ich hause ja da drin und ich tue so
mal links mal rechts um mein hirn kreisen und so weiter
dass ich mit dem kopfkern immer schon ein stück weiter bin
als wäre ich zweimal, wie extraspontan, immerhin
ich wär schon ein stück weiter als ich bin, in gedanken
wenn ich die zeit nicht unterwandern würde in gedanken
ein gedanke hetzt zum nächsten. das strengt an
ich würde gern so konsequent wie die pflanzen wachsen
aber ich muss mir meine intervalle selbst suchen
und sehe sie mir vorher alle an
das sind dann soundso viele möglichkeiten an die man denkt
aber nicht gleichzeitig bedenken kann
wie der wille zur form mir jede idee in der vollendung vorzustellen
die dinge bereits in der vorstellung vergehen lässt
weil jede möglichkeit nur eine andere vertritt
und keine verwirklicht sich
und das schöne erscheint dann nicht
aber dieses bild von matisse, kennen Sie das?
und die blüten der kastanien beschreiben
die blüten, die im sommer ein heftiger regen über den asphalt schwemmt
ein erstarrter vogel liegt daneben, atmet nicht mehr die atmung, die er kennt
und jemandem mit einen tumor im kopf noch von den störchen erzählen
die ich sah, als ich ihn zu ostern besuchen ging
13. September 2010 19:07
Kerstin Preiwuß
ich bin in der sonne geblieben
und durch den regen gegangen
mein haar ist hell
meine haut glatt geraten
wir kannten uns nicht
die sonne und ich
immerhin ging sie nicht
als wir mittags aufeinander trafen
erzählte ich wie sehr ich sie erwartet hatte
dabei wand sie sich um mein linkes bein
und um den bauch und ließ mich so
allein war es ein schöner tag
als ich glücklich war
16. August 2010 20:17
Kerstin Preiwuß
links neben mir die taube denkt auch nicht nach
rückt immer näher heran mit ihrem schabel zielt sie dann
auf meinen schuh wenn ich so bleibe. ich denke doch nur nach
wie ein küken von innen gegen seine schale pickt
um geboren zu werden nur umgedreht
15. Juli 2010 15:22
Kerstin Preiwuß
Als ich Norbert Lange kennenlernte, saßen wir im Zug auf dem Weg von Leipzig nach Halle, auf dem Weg zu einer Aufnahme für ein Feature zur „Quellenkunde“ unterhielten wir uns über unsere Quellen. Viel später stellten wir bei einer erneuten Begegnung fest, dass wir Wesentliches im Zug und nicht im Aufnahmestudio besprochen hatten. Die Aussagen für das Feature waren zu Abbildern des eigentlichen Gesprächs geworden, das so nicht mehr wiederholbar war. Das ergibt eine Art Palimpsest selbst im Reden, und an dieses Phänomen der Verhüllungen und Verschüttungen und des Sprechens darüber und des Sprechens als ob und des erfahrenen Sprechens und der erfahrbaren Sprache und des Teufels Konzentration (was einem auf einmal in Gedanken ganz klar vor Augen erscheint, verschwimmt sofort wieder, wenn man sich drauf konzentriert und es in Worten festhalten will) mit den Mitteln der Sprache rühren zu müssen und auch zu wollen, ist es, was Norbert einem auf wunderbare Weise erfahrbar machen kann – als Lyriker, Essayist, Übersetzer und jetzt als Blogger im Bauch des Fischs. Darum sage ich nur noch: An die Quellen, entert die Palimpseste! Herzlich Willkommen im Fisch, lieber Norbert!
12. Juli 2010 15:15