Gerald Koll
Das fünfzigste Jahr (102)
24. November 2015, ein Dienstag
Aus einem Traum geschüttelt worden. Geschüttelt von Ärger und Zorn. Zorn über den Vater, über den Beamten, dessen patriarchale Pedanterie so weit ging, dass meine Behördenschreiben, sofern sie Fehler aufwiesen, bitte noch einmal – damals noch auf der Schreibmaschine! – abzutippen seien. Heute sind seine Briefe Kauderwelsch. Proust schreibt, wir gingen innerhalb eines Lebens von einem Leben zum nächsten. Ich weiß nicht. Ich glaube, mein Vater wäre noch ebenso wie einst, er kann es nur nicht. Es ist der gleiche Mann mit Versehrungen, der gleiche Rechthaber ohne Recht zu haben. Und ich, der nachtragende, unerbittliche, rechthaberische Sohn bringe dafür kein Erbarmen auf.
Frau S. behält, was ich wunderbar finde, den Kopf oben. Heute Nachmittag beglückwünschte ich sie, dass sie beim Vorstoß auf der Party bei K. den Rückschlag wegsteckte und dennoch nicht aufgab. Sie aber bestand sie darauf, dass auf diese Weise die Geschichte bitte nicht geschrieben werde. Denn schließlich habe sie mir bereits bei jener Abfuhr bedeutet, in meinen Gesten und Handlungen läge eine unabweisbare Ambivalenz, die auch nach meiner Zurückweisung erhalten blieb, und ich sei es gewesen, der ihren Knöchel zuerst berührt habe. Darin liegt Großartigkeit.
24. November 2016 11:45