Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (170)

27. März 2016, ein Oster-Sonntag

Heute morgen strebte im späten Morgentraum Herr T. in grauem Mantel und Aktentasche an mir vorüber. Dem Anschein nach war er etwa vierzig bis fünfzig Jahre alt – in jenem Alter, in dem er für mich noch Nenn-Onkel T. war. Und erwachend überlegte ich, wie es denn käme, dass der nun weit in die 80er gejahrte T., mit dem ich doch keinerlei Berührung habe als durch zeitweilige Berichte der Eltern, mir so unvermutet und überraschend begegne. Und natürlich drängte sich der Verdacht auf, es mute ja wie jene Träume an, in denen Verstorbene sich noch einmal kurz blicken lassen. So stand ich auf und rief, wie es das Sonntagsritual will, bei den Eltern an. Meine Mutter erzählte, ohne danach gefragt worden zu sein, am Mittwoch werde Herr T. beerdigt. Er war am vergangenen Sonntag nach kurzer, schwerer Leukämie überraschend verstorben. Nun überlege ich sehr intensiv, ob meine Mutter in jüngster Vergangenheit Andeutungen gemacht hatte, die Herrn T. in mein Gedankenfeld hätten rücken können. Weder meine Mutter noch ich können sich daran erinnern, obwohl ich das leicht Spukhafte dieser Rundgänge Verstorbener gern dem Labor der Psychologie überließe. Aber diese Koinzidenz ist arg.

26. März 2017 14:25