Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (184)

15. April 2016, ein Freitag

Was Mönch Kosho Omoto heute morgen seinem Gott zuraunte und mit Fingerzeigen zu verstehen gab, blieb mir denn doch verborgen. Auch kehrte er uns ja beim Goma-Ritual den Rücken zu. Das emsige Werkeln mit Holz und Samen freute mich, auch Rauch und Flamme, aber müde war ich dennoch. Das Leben des Mönchs Kosho Omoto verläuft auf beneidenswerte Weise unbeirrt. Beim Kaffee nach der Zeremonie erzählte er, er sei früh nach Tibet gegangen, weil ihm in einer Vision gesagt worden sei, dort würde er seinen Lehrer finden. Er ging also hin, fand den Lehrer und verbrachte bei ihm drei Jahre. Weiter erzählte er, er habe nach der Übersetzung eines tibetanischen Textes 40 Tage lang fastend meditiert. Am Ende konnte er kein Wasser mehr aufnehmen. Buddha habe ihm dann angeraten, ein grünes Blatt zu essen. Auch habe er sechs Monate lang in einer Höhle gelebt, versorgt von einem Jungen, der ihm immer mal etwas Gemüse vor den Eingang legte. Er selbst habe im Inneren gehaust, ohne Aussicht, im Dunkel. Sechs Monate! Ich wurde recht neidisch auf seine Visionen und seinen Buddha.

D. und ich zogen weiter. Einer meiner Lieblingstempel war vor zehn Jahren der sogenannte Bekkaku 1, der nicht zu den 88 Tempeln der eigentlichen Route gehört. Er stand immer noch mit seinem groben mächtigen Holz im wuchernden Grün. Der Koch einer Udon-Küche hatte sich, als wir bei ihm einkehrten, erboten, uns dorthin zu fahren. Er riet uns zum Abschied, den Rückweg über die Straße zu nehmen. Nahmen wir aber nicht, denn im Wald war es schöner. Allerdings entzifferten wir Schilder, die vor Giftschlangen warnten.

D. hat ein wenig Pech. Die Japan-Reise war für ihn eigentlich eine Flucht, um mit seinen Allergien dem deutschen Frühling zu entgehen. Hier aber blühen derzeit die Kirschen wie wild. Gerade jetzt, im Anraku-ji-Tempel, hat D. ununterbrochen gehustet, als würde er ersticken. Seit wir die Betten wieder eingerollt und verstaut haben, geht es besser. Sie müssen im Kirschblütenwind ausgelüftet haben.

15. April 2017 23:46