Gerald Koll
Das fünfzigste Jahr (192)
23. April 2016, ein Sonnabend
Es ist noch Freitagnacht, D. und ich kommen eben angetrunken aus dem Kyoter Vergnügungsviertel Ponoto-chô, das uns mit Sake über die Teepleite tröste sollte. Es hieß, dort würden Geishas wie Gespenster durch Gassen huschen, aber außer roten Papierlaternen sah ich nicht viel. Außer Vollmond. Und Jugendlichen, die bei Vollmond in den Fluss pissten. Vereinzelt fade Nutten. Aber ich wollte Sake, unbedingt Sake. Zwei Tücher an einer schmucklosen Hauswand schienen mir eben das zu signalisieren: eine Bar mit Sake. Es gab da auch Sake, aber drinnen wirkte alles sehr behelfsmäßig. Etwas unordentliche Gestalten saßen auf Klappbänken, als hätten sich ein paar Nachbarn zusammen eine Garage gemietet, um dort feierabends Sake aus- und einzuschenken. Das besorgte eine Wirtin mit mächtiger Schürze und unglaublich großen Flaschen. Alle kannten sich, keiner kannte uns. Da klemmten wir nun, zwei Beobachter und Beobachtung. Zwei Sake enthemmten, und ich ertrug es, ein weiteres Mal, wie schon so oft, von Umsitzenden beigebracht zu bekommen, wie man richtig mit Stäbchen isst. Ich kann mit Stäbchen essen. Aber natürlich nicht richtig. Also nicht japanisch korrekt. Als nach der Dressur die Nudel im Mund landete, spendete die Dame am Nachbartisch Applaus.
Abends. Kyoto hielt uns doch noch diesen ganzen Tag. Kyoto im Weekend. Wer auf sich hält, flaniert in Kimono in Tempeln, Schreinen und Gärten. Trinkt Tee. Klappert auf Holzsohle. Knipst. Eine Yukata für Frau S. erstanden, immerhin. Meine Gedanken schweifen Richtung Rückflug. Mit dem Zug zurück nach Tokio. Wir kamen wieder bei Yutaka unter, aßen Ramen.
23. April 2017 20:28