Gerald Koll
Das fünfzigste Jahr (203)
19. Mai 2016, ein Donnerstag
Nun ist es ja inzwischen dahin gekommen, dass ich einen täglichen Einkauf, der mich zum Beispiel bei der Videothek, bei Rossmann und bei Edeka vorbei führt, als erfolgreiche Erledigung der Tagespflicht betrachte und wie nach einem vollen Arbeitstag heimkehre. Mein Rentnerdasein nimmt Formen an.
Es sind nur noch zehn Tage bis zum 50., die Wolke graut und schwillt. Wie vor einem ordentlichen Begräbnis wollen zuvor letzte Dinge zweckmäßig geordnet sein: Frühstück mit Jugendfreund H. zwecks Einleitung der Zerwürfnis-Beilegung; Frühstück mit Ex-Freundin Meg zwecks Flickens des rissigen Bandes. Dann gefasst dem Tag entgegen schreiten, der mit dumpfer Glocke den Ausklang einläutet.
Hier in Berlin-Weißensee wirft man einander gern an die Brust. Einjeder erzählt in Anwesenheit Dritter Dinge, die keine zwei Menschen interessieren. Die Kundin erzählt dem Uhrmacher, wieso sie dauernd ihre Handynummer vergisst. Man stellt auf seine Fensterbank eine Tomatenpflanze als Schutz gegen Mücken und Fliegen. So eine Tomatenpflanze, drang heute Nachbarin G. im Treppenhaus in mich, solle ich auch auf meinen Balkon stellen. Ich aber glaubte, mit einer Tomatenpflanze auf dem Balkon rapide altern zu müssen, und als ich jetzt, in diesem Augenblick, das Wort „Tomatenpflanze“ schrieb, vergaß ich beim Tippen das „ma“, und lese erschrocken „Totenpflanze“.
19. Mai 2017 15:08