Gerald Koll
Das fünfzigste Jahr (66/67)
30. August 2015, ein Sonntag
Anonymes rotgeflügeltes Insekt. Anonymes Gehölz, frisch geschlagen und verzapft. Anonymes Gestein und Gebüsch, vielfach gefärbt, vor allem violett. Anonyme Blüten, in denen der Berg badet. Unwohl dem, der die Natur beim Namen nennen kann. Wen anrufen, wenn der Berg aus seinem Schlaf erwacht, wenn er Steine spuckt und sich Wunden reißt in seinen Wettern?
An einer Gabelung gehe ich fehl und hinab zum Not-Abstieg Vergötzschen. Trotz massiven Abstiegs weigere ich mich eine Stunde lang, den Fehler einzusehen. Eineinhalb Stunden lang wieder rauf. An der verflixten Gabelung lege ich mich ins Gras, die Zunge klebt im Mund, zwei Stunden später Ankunft in der Verpeilhütte, innerlich ausgekühlt nach heute 12 Stunden. 5 Liter Wasser getrunken.
31. August, ein Montag
Auf der Falkansalm zieht ein Mann im Karohemd einen funkelnden, blitzenden Stein aus dem Hosenbund und zeigt ihn einem feisten Kerl. Der untersucht ihn: „Katzengold“, sagt er verächtlich, lässt den Stein indes in der Brusttasche seines Hemdes verschwinden.
Der Kaunergrat will festgehalten sein. Hinterher funkeln die Hände silbrig vom vielen Abrieb. Ich hatte eine kleine Wunde am Ballen und leckte sie sauber. So also schmeckt Silber.
Rifflseehütte. Ausblick von Liegestühlen auf Berge ringsherum mit ihren Gletschern und Hängen, aus tiefem Grün steigend in schütteres Grau und Braun. Einige Wölkchen in der Ferne. Ein Schaf irrt umher und blökt akzentfrei „Mäh!“
Nachricht am Abend: Morgen schlägt das Wetter um, gegen Mittag, danach Regen bis nächsten Montag. Das wirft alles um. Abbruch. Haselnussschnaps.
1. Oktober 2016 07:36