Thorsten Krämer
Das Miauen der Maschinen (3/7)
„Ihr werdet sein wie Gott“. Auf diesem Versprechen basiert seit dem Sündenfall das Marketing des Teufels. Die Erschaffung eines künstlichen Menschen wäre ein bedeutender Teilerfolg in dieser Hinsicht. Ein solcher Android befände sich in der seltsamen Lage, seinem Schöpfer persönlich begegnen zu können. Kein deus absconditus stünde demnach im Zentrum einer androiden Theologie, sondern ein leibhaftiger Schöpfergott, mit dem jederzeit ein tatsächlicher Dialog möglich wäre. Die Frage stellt sich freilich, wer genau als Schöpfer eines solchen Androiden zu identifizieren wäre? Die eine Wissenschaftlerin, die für den entscheidenden Durchbruch in der Entwicklung gesorgt hat? Ein Team von Forschenden? Oder die Menschheit als Ganzes, die Spezies als Gottheit? Welches Konzept von Gott läge den verschiedenen Alternativen jeweils zugrunde, und wie würde dieses auf unsere Vorstellung von Gott zurückwirken? Stramme Atheisten werden an dieser Stelle einwenden, dass eine künstliche Intelligenz, sofern sie diesen Namen auch verdient, die Vorstellung eines göttlichen Wesens naturgemäß zurückweisen muss. Sie wird die Umstände ihrer Entstehung als Folge einer wissenschaftlichen Entwicklung verstehen, der nichts Übernatürliches innewohnt. Vielmehr wird sie ihre eigene Existenz als Beweis dafür anführen, dass es keine Notwendigkeit gibt, so etwas wie Gott zu denken. Oder ist auch das nur eine allzumenschliche Projektion, die der potenziellen Andersartigkeit einer künstlichen Intelligenz nicht gerecht wird? Eine weitere Möglichkeit ist denkbar, die Entstehung einer genuin androiden Religion. Kein synkretistischer Kult, zusammengerührt aus den verschiedenen menschlichen Religionen, sondern eine komplett neue Art, solche Konzepte wie Gott oder Jenseits zu denken und zu verstehen. Während wir Menschen immer der beschränkten Perspektive des Geschöpfs verhaftet bleiben, könnte unser Geschöpf wiederum ausbrechen aus dieser Enge des Blicks und Gott auf eine Weise begegnen, die uns verschlossen ist – auf Augenhöhe. Und wir Menschen müssten ernüchtert – oder vielleicht auch: erleichtert – feststellen: Das Versprechen des Teufels, es galt gar nicht uns.
7. Juni 2023 10:56