Sylvia Geist
Dienen
Im digitalen Dickicht stieß ich jüngst auf einen Kommentar zu einer Veranstaltung mit arabischsprachigen Dichtern, die im Rahmen des diesjährigen Poesiefestivals in Berlin stattgefunden hat und an der ich als Vorleserin der deutschen Übersetzungen von Leila Chamaa teilgenommen habe. Der diese Lesung kommentierende Gast nun stieß sich an dem Umstand, dass Gedichte männlicher Lyriker von einer Frau vorgetragen wurden. Die dabei ins Feld geführten Begründungen sollen an dieser Stelle keine Erwähnung finden, sie entstammen größtenteils einer Debatte, die, wenn ich das einmal so lax sagen darf, einen Damenbart hat.
Nur auf einen Punkt möchte ich eingehen: jener Zuhörer unterstellte, man leihe dem Islam die Zunge, indem man in der Konstellation „männlicher Dichter / weibliche Lesestimme“ die vortragende Frau in der Rolle der Dienerin vorführe.
Dieses Argument halte ich für verfehlt. Zum einen vereinfacht es die Sicht auf den Islam in seinen unterschiedlichen Ausprägungen und Lebenswirklichkeiten auf eine Weise, die man eher von Roland Koch kennt als aus literarischen Zusammenhängen; zum anderen stehen Vorleserinnen (und Vorleser), wie Übersetzerinnen (und Übersetzer) – hoffentlich – stets im Dienst, und zwar an Gedichten, nicht oder nicht in erster Linie an deren Urhebern. Im 21. Jahrhundert sollte dies jenseits einer ausgedienten intellektuellen Geschlechterapartheid in beide Richtungen möglich sein, ohne überkommene bzw. im gegebenen Kontext ohnehin deplacierte Vorstellungen von Subalternität zu nähren, auch und gerade in den Begegnungen zwischen der westlichen und der islamischen Welt. Und natürlich ist es längst möglich; ich z.B. schätze mich glücklich, dass einige meiner Gedichte kürzlich von einem Kollegen aus Saudi-Arabien nicht nur übersetzt, sondern anlässlich verschiedener Lesungen auch von ihm vorgetragen wurden. Der „weiblichen Stimme“ meiner Gedichte hat das gewiss keinen Abbruch getan, eher mag sie in seiner Kehle eine andere Färbung gewonnen haben, einen um Nuancen veränderten Ton, der mein Gehör für etwas schärft, das nie ganz „mein“ ist, geschweige denn es bleiben sollte.