Andreas H. Drescher
Jarretts Chinook
Heute Nacht auf einem Keith Jarrett-Konzert, obwohl er, seiner beiden Schlaganfälle wegen, angeblich nicht mehr auftreten kann. Dies ist jedoch das Beste, das ich je von ihm gehört habe. Er hat Kontakt zu Strawinsky und Cage aufgenommen und Letzterer hat ihm geraten, einen Schlagzeug-Stick in die rechte Hand zu nehmen, die für die Klaviatur nicht mehr zu brauchen ist. So hat er, wie B.B. King, seine Schwäche zu seiner Stärke gemacht und seine Musik ist deutlich perkussiver geworden. Das gilt auch für sein Ensemble, dessen Musiker häufig mit einer Hand die Instrumente der anderen nutzen. Mein Freund Achim sitzt am Schlagzeug, der Ton-Bildhauer Bernd-Wegener spielt weitere Percussion-Instrumente einschließlich alter Chips-Tüten, Matthias Haus Vibraphon und Jörg Kaufmann Saxophon. Meine Aufgabe besteht darin, meinen Kopf mal hierhin, mal dorthin zu strecken und die Musiker durch mein begeistertes Gesicht zu immer neuen Höchstleistungen anzuspornen. Das erinnert mich an die Besuche meiner Ersten Liebe bei den Proben meiner Band „Chinook“ und ihrer Wirkung auf uns. So suche ich mein Spiegelbild auf dem Vorderdeckel des Flügels und sehe aus wie die Erzählerin „Tish“ aus Baldwins „Beale Street Blues“: klein, nicht besonders hübsch, doch mit einem offenbar sehr wirksamen Lächeln. (Das Leitmotiv von „Jarretts Chinook“, unmittelbar nach dem Aufwachen mit schlaf-steifen Fingern auf der Gitarre eingespielt und via Diktier-Gerät aufgenommen, wird von den Algorithmen der sozialen Medien als „sexueller Inhalt“ abgelehnt und gilt selbst dem Goldenen Fisch als „gefährlich“. Das rechne ich mir als Verdienst an.)
23. Oktober 2020 08:40