Gerald Koll

Katholiken

Ein wahrer Katholik wird sich nicht nur im Berliner Olympiastadion unter Aufsicht des Heiligen Vaters als Katholik betrachten und betrachtet fühlen, sondern auch fünf Minuten später, wenn er im Anschluss an die Heilige Messe seine Tasche im Taschenaufbewahrungszelt abholt. Dort, im Taschenaufbewahrungszelt, musste jeder noch so fromme Katholik seine Tasche abgeben, damit niemand Waffen ins Stadion schmuggelt, um Anschläge zu verüben. Aus den fünf Minuten werden allerdings schnell ein bis zwei Stunden, weil es für 80.000 Katholikentaschen nur ein einziges Zelt gibt. Deshalb ist Geduld gefragt. Katholiken haben keine Geduld. Jedenfalls nicht die im Olympiastadion. Wenn die Katholiken an der Himmelspforte so miserabel Schlange stehen wie vor dem Taschenaufbewahrungszelt, werde ich auf ihren Himmel verzichten. Alle drängeln wie die Teufel. Besonders die polnischen Katholiken. Und unter den polnischen Katholiken besonders die kleinen Frauen. Die schieben sich gegenseitig einfach durch. Hier also, dachte ich, sehe ich das wahre Gesicht des Katholiken.

Was für Lumpen, dachte ich, was für miese Lumpen diese Katholiken doch sind. Im Stadion noch drücken sie verzückt ihre eigenen arglosen Babys den Ordnungskräften in die Hand, damit sie sie dem Heiligen Vater zutrügen, damit er sie segne. Auch reichen sie mir ihre Hände und wünschen mir leutselig Frieden, und fünf Minuten später knüppeln sie mich nieder, um zehn Sekunden schneller an ihre Tasche zu kommen. Eine Frau bekam direkt im Zelt einen hysterischen Anfall, als ihre Drängelei aufflog und ihr die Tasche verweigert wurde. Sie wurde von Ordnungshütern gewaltsam aus dem Zelt entfernt. „Lassen Sie mich los!“ schrie sie, „ich will meine Tasche“, schrie sie weiter, übrigens in akzentfreiem Deutsch, und ich wusste, wie sie Petrus anschreien wird, wenn er sie nicht durchlassen will. Dabei dachte ich noch wenige Minuten zuvor, als ich Petri Nachfolger Benedikt XVI. zuhörte, dass er es mir mit ein wenig Geduld weismachen könnte, dass man nur innerhalb der Kirche ein wirksamer Friedens- und Liebesbote sein kann (fern des Weinstocks wird die Rebe wertlos, man „wirft sie ins Feuer und sie verbrennen“ … was für ein hartgesottener Gleichniswähler dieser Papst doch ist), zumindest, wenn ich nur mehr Zeit im Weinstock verbrächte, in des römischen Bischofs direkter Umgebung, im apostolischen Palast im Vatikan, zumindest, sofern man dort verschont ist von dieser völlig beschissenen Christen-Popmusik, die im Olympiastadion lief, und verschont von schlangestehenden Katholiken.

23. September 2011 00:45