Fernando Offermann
Meinekestraße
Jepsen wollte immer so sterben, und gestern ist es einer noch unbekannten Frau tatsächlich passiert. Oder vorgestern. Stehst auf der Straße und wirst erschossen, aus einem um die Ecke biegenden Wagen heraus. Täter unbekannt, Zeugen haben nichts gesehen, ging so schnell. Jepsen hatte sich eine Maschinengewehrsalve gewünscht, doch wer weiß, ob es die überhaupt noch gibt oder sind das jetzt automatische Handfeuerwaffen?
Auf der Straße ist Opa Scheel havariert, mitten im Berufsverkehr, Joachimsthaler Ecke Kant. Handkrampf im Rollstuhl mit neunzig, aber er dachte ganz bestimmt nicht an Autos, nur an die Meinekestraße. Stand eine Weile auf dem Asphalt und quakte mit Spasmen, Leute zückten Telefone, und bevor jemand kam, waren wir schon unterwegs zur Pension Lutz. Opa Scheel erzählt von der Schwester, bei der wir klingeln müssen, sie rasiere ihn sogar, und zwischendurch heult er frohblöd auf, wenn wir mit dem Rollstuhl auf dem Kudamm die Passanten abdrängeln und sie zur Achtsamkeit nötigen, wie auf der Autobahn mit Dauerlinksblinker. Jepsen hätte es geliebt. Opa Scheel quiekt auf, die Passanten misstrauisch, doch dann sehen sie uns, und er beschimpft die träge Masse, die umhertreibt und keinen Platz macht, endlich Platz macht, weil wir doch durch wollen, durch zur Pension.
Auf offener Straße erschossen, mit 23 Jahren. Tags drauf rammt einer dem Türsteher ein Messer in die Leber und rennt in den Tiergarten, andere hinterher, sticht der Kerl die anderen im Park auch noch ab. Dann wird er geschnappt. Aus Spandau. Pension Lutz sagt danke, bei Opa Scheel vertschüßen, zurück in den Verkehr.