Mirko Bonné

Reise der drei Waisen

all this was folly
T.S. Eliot, Journey of the Magi

Waisen nannten sich die Drei, die mich mitnahmen,
willkommen bei den Waisen aus dem Gutenmorgenland!
Sie führten sich auf wie gerade noch davongekommen.

Die Wege aufgeweicht, der reinste Softie, das Wetter,
meinte das Mädchen, das der Alte bloß Bunny nannte.

Sein Kollege saß vorn, im Mantel eines Spaniers,
dessen Leichnam jetzt in einer Benzinlache liege,
irgendwo in einer Kranwagenhalle. Der Stoff stank,
besonders nachts, wenn sie die Heizung aufdrehten.

Sie waren Blender, und nichts gehörte ihnen außer
dem Zeug, das sie am Körper trugen, und dem Zeug,
das sie sagten und ihnen die Langeweile vertrieb.

An was sich erinnern, fragte der Alte mal, alles
ist ein Film, rückwärts läuft gar nichts. Besser,
in einem schrottreifen Toyota auf Schleichwegen
und hinein in Ortschaften fahren, wo der Trübsinn
einen anfraß wie Grus wegschmelzenden Pappschnee.

Bunny kreischte etwas, was niemand verstand,
sie sprang raus und steckte vor einer Videothek
den Pappmann in Brand. Von dem Grünstreifen
zwischen zwei Parkbuchten stoben Insekten auf,
als sie dort tanzte, während wir bloß zusahen.

Der Alte stieß die Fahrertüre auf, stieg aus und
trat den verkohlten Kinohelden wortlos zusammen.

Ich fing an zu brüllen wie sie, aber dozierte
dabei noch immer von Passage zurück in die Geburt,
und sofort lachte mich der Klub still. Wir fuhren
durch leergefegte Nester ins Bergland hinauf, feucht,
knapp unterhalb der Schneegrenze, duftend nach Grün.

Auf der Suche nach einer Tankstelle mischten sie
die Dörfer der Katzenbesitzer auf und beschlossen
(oberste Regel: Sonnenbaden ist für Untote tabu),
tagsüber zu schlafen, in der Nähe von Wasser, und
nachts zu fahren, süßlich singende Stimmen im Ohr.

Doch was sie sagten, bedeutete nichts, ihr Ziel
war vielleicht eine Huldigung, wohl kaum aber
die Huldigung eines Kindes, eher die ihrer Leere.
War der Tank voll wie die Sonne, ging es weiter.

Kurz vorm Festfressen der Kolben, kurz bevor wir
zu dem Hafen kamen und im Schatten, den ein Frachter
durchs Nachmittagslicht auf die Mole warf, hielten,
fiel dem Alten am Steuer plötzlich das Haus ein.

Für das Mädchen und Mantelmann war die Reise zu Ende,
als sie Betten witterten. Das Land, endlich war es da.

Ein Klepper leckte den Regen vom Zaun. Ich sah Vögel
auf alten Bäumen, sie hackten den Harsch von der Rinde.

Als gäbe es eine Wahl, schnitten wir uns Teller zurecht
und hörten wieder zu reden auf. Im Tausch mit den Bauern
gingen Schals weg, Posaunen, und der Alte holte Lexika,
Tassen und Fotobände aus dem Kofferraum, während Bunny
morgens im Schneeanzug am Campingtisch Pasta kochte.

Sie kam in mein Bett und sagte, sie würde es tun mit mir,
wenn ich ihr meine Lederjacke gäbe. Ich gab sie ihr so,
sie rannte runter, und ich hörte unten den Anlasser heulen.

Als ich wieder aufwachte, war es still. Das Licht fiel
durchs Klappfenster. Im Garten des Nachbarhofs standen
Blumen und sahen aus, als fotografierten sie das Gras.

Geborenwerden und Sterben sind manchmal eins, dachte ich
und wünschte mich nicht länger zurück. Ich lebte wieder.
Leben war mehr als Warten, und so vergaß ich das Kind,
vergaß die drei Waisen und zuletzt das Gutenmorgenland.

*

6. Januar 2010 17:11