Thorsten Krämer

Das Miauen der Maschinen (1/7)

Der Mensch ist das Tier, das sich seiner Ausscheidungen schämt. Zumindest, wenn er gut erzogen ist. Noch wenn er das erste Häuflein in seinen Topf gemacht hat, präsentiert er es stolz den Eltern – ein Geschenk von Scheiße, wie es der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan pointiert genannt hat. Wenn von der Menschenähnlichkeit eines Androiden die Rede ist, wird dieser Aspekt freilich selten in Betracht gezogen. Dabei liegt der menschliche Umgang mit dem Endprodukt seines Stoffwechsels genau an der Schnittstelle zwischen leiblicher Verfasstheit und kulturellem Überbau. Warum ist es nicht erstrebenswert, eine künstliche Intelligenz mit analogem Metabolismus zu erschaffen? Der belgische Künstler Wim Delvoye hat bereits in den 1990er Jahren eine Maschine konstruiert, die den menschlichen Verdauungsprozess nachahmt. Auf einer Länge von fast drei Metern verarbeitet die „Cloaca“ betitelte Installation jedwede Nahrung in ein Exkrement, dessen chemische Zusammensetzung der von menschlichen Ausscheidungen frappierend nahe kommt. Sicher wäre es heute möglich, die benötigte Apparatur kompakter zu gestalten und einem Androiden als Innenleben einzubauen. Würde ein solches Wesen aber überhaupt Scham empfinden angesichts dieser biologischen Komponente seiner Existenz? Oder läge der Nutzen vielmehr darin, uns Menschen die Gewissheit zu geben, dass auch die überlegene Intelligenz eines Androiden nicht umhin kann, sich mit seinem Kot zu beschäftigen? Wäre es in der Folge dann ein Zeichen der Revolte, wenn sich Androiden in illegalen Werkstätten dieses Innenlebens entledigten? Vielleicht ist auch ein anderer Verlauf denkbar, eine neue Art der Scham, die für eine Künstliche Intelligenz darin besteht, von Elektrizität so abhängig zu sein wie wir von Nahrung. Das Aufladen in der Öffentlichkeit wäre dann verpönt; es gäbe diskrete Stationen dafür, zu denen Menschen keinen Zugang hätten. Ein solches Gefühl, sofern es spontan aufträte und nicht aus reiner Bösartigkeit vorprogrammiert wäre, hätte das Potenzial, eine gewisse Form der Verbundenheit zwischen uns und den Androiden zu stiften – eine Geschwisterschaft der Peinlichkeit.

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Unter dem ursprünglichen Titel „Was Sie immer schon über Katzen wissen wollten und Ihren Androiden nie zu fragen wagten“ schrieb ich 2020 für die Wuppertaler Literatur Biennale eine Reihe von kurzen Texten zum damaligen Thema „Tier, Mensch, Maschine – Berührungen“. Ich poste sie hier sukzessive, da das Thema KI gerade wieder so akut ist.

3. Juni 2023 08:17