Gerald Koll
Zazen-Sesshin (24)
Da wischte sie mit der Fläche ihrer rechten Hand so schnell über ihre linke, dass ein Geräusch entstand, als schleife sie und wetze sie, als schnitte sie dem Dienenden durch seine Stirn. Zu verstehen gab sie ihm, der vor ihr stand mit Topf und Kelle, es sei genug nun, er solle weiter seine Runde ziehen und den nächsten Gast bewirten. Läge ihr Löffel in der Schale, hieße es, sie verzichte ganz. Hätte sie zu wischen verzichtet, hätte er die Schale bis zum Rand gefüllt. Diese Zeichen waren verbindlich für den Umgang ohne Worte, denn stumm war das Sesshin. Nicht aber abgemacht war, wie man wischte, ob scharf, ob sanft, wenn man sich entschied zu wischen. Es gab Gäste, weibliche Japanerinnen, die so zart die Hände aneinander rieben, als wäre es ein Fächeln und ein Kosen. Und es gab ein Wischen, dass die Schneide schliff und dessen Klarheit sich mit einer Guillotine messen konnte. Dies war das Wischen einer Russin vom Ural.
Zerschnitten waren alle Bilder, die eben gerade in der Sitzung noch so deutlich schienen in der Innenschau nach außen. Eine Jakobsleiter war gestiegen aus dem Bodenholz, ein Weisheits-Dreieck war zu sehen, und Literatur stand so zitatenklar vor ihm wie selten. Vollständig memorierte er den Text der Seite 143 in dem Buch Bis in den Himmel: „Verzeih mir, Tomomi, ja…?“ sagt ein junger Mann, der in ausgetauschtem Körper vor seiner Tochter kniet. „Wuff Wuff Wuff“ bescheinigt ihm der Hund sein wahres Wesen, und das Blätterwerk sagt „Schhhhhhh“.