Gerald Koll
Zazen-Sesshin (25)
Nichts weiß der Sitzende zu dieser Zeit von Tanba, dem einsamsten Kämpfer der Welt, der eines Tages durch Nara geht, die liebliche Kaiserstadt, in der Touristen und freilaufende Rehe die Tempel bestaunen, während Tempel und Touristen die Rehe bestaunen und Tempel und Rehe die freilaufenden Touristen bestaunen. Nur an diesem Tag ist es anders, denn ein unwilliges Staunen allerseits gilt Tanba. Um ihn zu beschreiben, hieße es vielleicht, sich eine finstere Gebirgskette aus Muskeln vorzustellen. Tanba ragt über die Massen der Ströme von Menschen, die diesen Mitmenschen zu gewärtigen sich scheuen, in etwa so, wie man ein schwarzes, mit sich selbst beschäftigtes Loch nicht wahrnehmen mag. Jiro Taniguchi und Baku Yumemakura schrieben in ihrem Manga Wie hungrige Wölfe, dessen Text Tsuwame und Waldemar Kesler übersetzten: „Er zog vorbei wie eine Temperaturschwankung.“
Der Sitzende gewahrt zu seiner Zeit, um 19:20 Uhr des 29. Dezembertages, wenn der namenlose Mönch aus der Kälte in den ofenwarmen Keller im schneebedeckten Winkel Deutschlands tritt, einen schlechten Hauch. Es ist der Nachgeschmack der Mahlzeit, die Frau {Vorname} dem namenlosen Mönch verdarb. Noch jetzt wirkt er vergällt, wenn er allseits „um Nachsicht bittet“, etwas mitzuteilen, was er „für meine Pflicht“ halte – ob es die Damen und Herren interessiere oder nicht: Jedenfalls gäbe es im Mahayana, zu dem der Zen sich zähle, drei Schritte. Erstens: das Nicht-Festhalten. Zweitens das Nicht-Festhalten am Nicht-Festhalten. Drittens: sich davon kein Verständnis zu bilden. Das sei eigentlich schon alles. Man könne auch auf der ersten Stufe oder den ersten beiden Stufen stehen bleiben. Das aber sei die Meditationskrankheit, notiert der Sitzende, der im Luftzug seiner Niederschrift ahnt, im besten Fall der Krankheit zu erliegen.
24. Juni 2012 14:14