Hendrik Rost

Junkie-Small-Talk

Ampel an der Moltkebrücke in Lübeck:
– Boah!, das Zeug hat meine Augen ganz schwammig gemacht. Ich musste erstmal nach Hause gehen und Mittagsschlaf machen. Vorher hab ich noch nen Döner gegessen.
– Jo, ich war auch völlig fertig.
– Man soll so was auch nicht gleich so viel nehmen.
– Ich nehm das nich mehr. Ich will ja noch meine Rente erleben.
– Das wird geil!

2. Juni 2010 14:13










Marjana Gaponenko

Weltschöpfung III

Ohne Worte wurde gesungen,
während du schliefst.
Während du träumtest,
fielen zwei Äpfel vom Baum,
wie ein Blick,
durchbrachen die Erde,
ihre gläserne Schale
bis zur Mitte
– ein Gongschlag –

Da reitet sie übers Feld,
die Schöne,
auf dem Duft der Blumen,
auf dem Schatten des Dufts,
auf seiner bloßen Vorstellung.
– Gewitter –

Während du schliefst,
wurde der Stein,
den die Zärtliche hob,
zu Tau, der Tau zur Libelle.
Ein Tor fiel ins Schloss,
ein Welpe fiel in den Brunnen;
die Nacht (pelzige Seite
des Lichts) gab dem Wind
eine Stimme.

Während du schliefst,
geschah nichts,
gebar sich die Welt
tausendmal, um wieder
zu sein und zu scheinen.
Zwischen den Dingen –
die Frau, in ihr Zittern gehüllt,
ein Gedanke an dich.
-ein Dämon-

Aus funkelnder Liebe
ist auch dieser Leib …

wurde gesungen.

7. Juni 2010 00:02










Mirko Bonné

Sprühregen

Ein nackter fliederfarbener und nasser Hund
läuft durch die Stadt auf seinen kurzen Beinen.
Er sucht nach nichts – in den Lichtern am Bund
ist er daheim; einen Herrn hat er scheinbar keinen.

Und scheint er auch selbst aus Licht, ich sehe ihn.
Furchtlos, rosig, klein, so wartet er vor einer Wand
aus Chinesinnen, die vor dem Regen fliehen,
Plastiktüten, Sonnenschirme in der Hand.

Ein nasser fliederfarbener und nackter Hund
rennt über Straßen, die sich teilen und im Kreis
umwinden, Stadtautobahnblüten, blau und bunt
auf den steinernen Lichtungen Shanghais.

Sprühregen; er fährt eine Rolltreppe hinauf.
Träumend hebt er an einem hölzernen Tempel
das Bein. In allen Spiegeln hört die Seele auf –
auf der Haut duftet noch ihr blasser Stempel.

*

7. Juni 2010 12:53










Sylvia Geist

Dienen

Im digitalen Dickicht stieß ich jüngst auf einen Kommentar zu einer Veranstaltung mit arabischsprachigen Dichtern, die im Rahmen des diesjährigen Poesiefestivals in Berlin stattgefunden hat und an der ich als Vorleserin der deutschen Übersetzungen von Leila Chamaa teilgenommen habe. Der diese Lesung kommentierende Gast nun stieß sich an dem Umstand, dass Gedichte männlicher Lyriker von einer Frau vorgetragen wurden. Die dabei ins Feld geführten Begründungen sollen an dieser Stelle keine Erwähnung finden, sie entstammen größtenteils einer Debatte, die, wenn ich das einmal so lax sagen darf, einen Damenbart hat.
Nur auf einen Punkt möchte ich eingehen: jener Zuhörer unterstellte, man leihe dem Islam die Zunge, indem man in der Konstellation „männlicher Dichter / weibliche Lesestimme“ die vortragende Frau in der Rolle der Dienerin vorführe.
Dieses Argument halte ich für verfehlt. Zum einen vereinfacht es die Sicht auf den Islam in seinen unterschiedlichen Ausprägungen und Lebenswirklichkeiten auf eine Weise, die man eher von Roland Koch kennt als aus literarischen Zusammenhängen; zum anderen stehen Vorleserinnen (und Vorleser), wie Übersetzerinnen (und Übersetzer) – hoffentlich – stets im Dienst, und zwar an Gedichten, nicht oder nicht in erster Linie an deren Urhebern. Im 21. Jahrhundert sollte dies jenseits einer ausgedienten intellektuellen Geschlechterapartheid in beide Richtungen möglich sein, ohne überkommene bzw. im gegebenen Kontext ohnehin deplacierte Vorstellungen von Subalternität zu nähren, auch und gerade in den Begegnungen zwischen der westlichen und der islamischen Welt. Und natürlich ist es längst möglich; ich z.B. schätze mich glücklich, dass einige meiner Gedichte kürzlich von einem Kollegen aus Saudi-Arabien nicht nur übersetzt, sondern anlässlich verschiedener Lesungen auch von ihm vorgetragen wurden. Der „weiblichen Stimme“ meiner Gedichte hat das gewiss keinen Abbruch getan, eher mag sie in seiner Kehle eine andere Färbung gewonnen haben, einen um Nuancen veränderten Ton, der mein Gehör für etwas schärft, das nie ganz „mein“ ist, geschweige denn es bleiben sollte.

11. Juni 2010 17:18










Nikolai Vogel

Kleiner Elefant

noch vor ein paar Tagen besucht, stand im Gehege und bewegte sich kaum, in dieser Welt nicht mehr, der unbegreiflichen, der kurzen Zeit, mutterlos und in den ruhigen Armen der Wärter, in die Jagdgründe jetzt, Rüsselspiele mit Hannibals Gefährten.

Jamuna Toni, 06.06.2010

Jamuna Toni 21.12.2009 – 14.06.2010

15. Juni 2010 16:08










Sünje Lewejohann

Salzbleich/

Salzbleich/ Wäre ich eine Taube, ich hätte kein
Gesicht. Ein Schnäbelchen nur und zwei
punktgroße Augen. Wäre ich eine Taube, ich
wüsste nichts. Bliebe ein nacktes, ein
immernacktes Ich. Nur in manchen Träumen
triebest du mit dem Strandgut an das Ufer. Läge
ein salzblasser Körper zwischen Tang und
Feuerstein. Geschliffenes Glas an Zehen und
Scheitel. Mit den Klauen kratzte ich diesen
Umriss nach. Ein Halbmond auf deinem
Gesicht. Dann böte ich gurrend meine Gurgel
feil.
Und rupfte man mir die Federn aus, bliebe mir
ein feines Knochengerüst zum Wandeln
zwischen Dachziegeln und Lehm. Zum Picken
mit knöchernem Schnabel. Zum Flügelrasseln
und zum Zeichensetzen in feinem Waldmulch.
Als letztes noch würde ich mir ein
Menschengesicht schnitzen, eine Stirn, zwei
Augen, Nase, Mund. Ich schnitzte mir ein
schiefes Lächeln hinein, ein Grübchen und eine,
nur eine einzige, ausgefallene Wimper.

17. Juni 2010 08:09










Hartmut Abendschein

a bottle close to cy twombly

(and maybe an elephant)

18. Juni 2010 16:31










Thorsten Krämer

Untitled

Die Blumen spielen Mathe: die Maßlosigkeit
dieser y-Achse, wie sie ausfranst und lässig die
Ebene wechselt.
                             Wie sie blühend vielfach Parabeln
antäuscht, und in der Horizontalen dasselbe Spiel.

Zu vernachlässigen: der Negativbereich. Dagegen der
Vorhang eine Funktion der Aufmerksamkeit, gefrorene
Bewegung.
                   Die von Menschenhand geschaffene
Lücke im Winkel der Stiele, das aufgeladene Schwarz.

20. Juni 2010 10:38










Hans Thill

Mein Nam

mein Leich mon voyage mineur. Ein Wiedergänger sprüht
in kleiner Trance an alle Trafo-Stationen: Pas Op!

Verkehrter Kaffee und verirrter Wein steigen zu Kopp
und heissen beispielsweise Chloroform. In einem

weit entfernten Land hilft gegen wortverklebten Mund
Thalassa als ein Zungenlöser aus l und s. dar zamin

dur dast. Mein Nam mein Dotter eines Gottes ärmer
als die Nacht blau im Gesicht und für ein halbes

Sommerstück bin ich in Form: ein kahler Fall ein Overall
das Stresswort allemaal dem Anton Reiser hinters

Ohr geschrieben. Mein Nam meine Entgleisung mein
überall beseeltes immerzu rasiertes Pädonym

bin ich auch kein Korkenzieher wär ich doch gerne
eine Vogeluhr

Begrüßungsgedicht für
Dirk van Bastelaere, Eric Brogniet, Karel Logist, Els Moors, Erik Spinoy, Liliane Wouters, Gerhard Falkner, Zsuzsanna Gahse, Norbert Lange, Michael Speier, Ulrike Almut Sandig.
Edenkoben 23. Juni 2010

23. Juni 2010 15:59










Björn Kiehne

Und vor unserem Fenster die Nacht

Meine Zunge fährt den Lauf der Elbe nach,
lässt das Wasser über die Ufer deiner Schenkel treten.
Der scheue Reiher im Schilf, das Lied der Regenamsel,
Fische springen, die Nacht pirscht sich heran.
Aus dem Auwald treten drei Wölfe, flüstern:
Hab Acht, hab Acht, hab Acht –
der Reiher breitet seine Flügel aus,
vor dem Fenster wartet die Nacht.

27. Juni 2010 04:30