Björn Kiehne

Das Versprechen der Kiesel

Am Abend gehen wir an den Fluss
die Stufen hinunter an sein Ufer.

Das Wasser, aschgrau vor gelöster Schuld,
gluckst, gurgelt, rauscht –
berichtet von den Monologen der Eisheiligen.

Mückenschwärme tanzen im matten Licht,
verwischen den Blick auf das andere Ufer,
wo Vögel ihren leiser werdenden Gesang
mit Nebelschwaden auf das Wasser legen.

Und vom Grund des Flusses erneuert sich
sacht das Versprechen, das die Kiesel geben:

Es fließen Flüsse unterhalb der Flüsse,
es gibt eine Stille hinter der Stille.

4. Mai 2013 10:19










Sylvia Geist

Reinfassung

Der Wald ist geschlossen
nach Max Ernst

Und wenn ich um Nebel bitte?
Als fiele auch Licht umso schwerer
je weiter, schlägt es,
ein Balken aus dem offenen Dach,

ins Unterholz, wo ich den Tisch decke
für die Nestlinge aus den Tannpalisaden,
immer gierig auf die weißen Krumen,
meine Asche. Keine Blöße,

die der Himmel in dieser Ecke
einem dann noch geben könnte, und ja,
es lebt sich bescheiden im Mandelkern
eines steten, strahlenden Zusammenbruchs.

Aber das Mehl ist froh um die Zutaten
der Hände, und es gibt Vögel hier
in den Zweigstellen, Angestammte
fast, auch in den Gesprächen

der Gurremaschinen nicht zu veräußern,
Jorinden mit Hausrecht im Gewinde
der Lindenzeitrechnung, die umnachten,
oder ihre Schlafbäume sind es, die hin und

wieder zusammenrücken. Dann sehe ich,
der Wald ist geschlossen, und niemand
kommt mehr herein, der ihn lichtet.
Und wenn ich nun die Milch verschütte.

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15. Mai 2013 10:48










Mirko Bonné

Der Zollinspektor von New York City

Jeden Vormittag stellte er sich zwischen
zehn und elf einmal in die übermauerte
Nische, in die das weite klare Leuchten
vom Meer hereinfiel. Silbriger Hudson.
So rauchte er. Bis ihm der milchige
Himmel vor Augen verschwamm.
Er las Zeitung. Im Herald Gedichte,
die Buchbesprechungen, Kritiken.
Solange aus den schwarzen Zeilen
nicht die alte Schalheit herauskroch.
Dann hob er den Blick, sah hinüber
zum Gewimmel auf der Schonerpier.

Manchmal ein Käfig mit einem Tier.
Im Juli 1873 schwebte am Lastbaum
ein Orchester, das spielte wie der Wind
in Pittsfields Ulmen. Alle Jahre im Kopf,
neunzehn. Die Heimfahrten im Dunkel,
über den Gaslaternen am Astor Place
das Flattern der Fledermäuse. Herman,
sagte er zu sich selbst. Herman Melville!
Bleib stehen im Licht. Verbirg dich darin.
Und hörte Jack Chase, vor vierzig Jahren.
Komm, wir hauen uns hin, rief er im Mast.
Genug ist genug, Herman. Los, zum Bug!

*

19. Mai 2013 00:24










Hans Thill

Useful knowledge

Das Sandwich

ein Stück Fleisch, gar geritten in einer Pause zwischen Pferd und Kartenspiel, in den Sand gefallen, verspeist zwischen einer Schnitte und einem Brot. Derweil erkalten die Kartoffeln eine Nacht lang, dann sind sie fest. Das Sandwich weiß nichts von all dem, es kennt nichtmal den Lord mit Zeigefinger und Daumen, der mit vollem Mund blufft. Useful knowledge, connaissance utile, la parole du maître, alles reine Erfindung wie der Wankelmotor

27. Mai 2013 22:14










Andreas H. Drescher

DER SCHWARZARBEITER

Drei Tage später ging ich zur Eisstelle
Die festgefrorenen Delfine unterhielten sich noch immer

Noch über ihren Tod hinaus
Trotzdem war ich nicht neugierig darauf was sie sagten

Ich fragte mich lediglich ob sie einen ernsthafteren Tod
Stürben wenn ich sie wieder auftaute

Zum Glück hatte ich meine Lehre als Heizungsbauer erst
Kurz vor der Prüfung abgebrochen

Es ging auch soweit ganz gut
Nur einen einzigen Fehler machte ich als ich die Thermostate

In die Delphine selber einbaute
So konnten sie nach ihrem Gutdünken erfrieren und wieder

Auftauen Seitdem tauchen sie aufs Geratewohl zwischen ihren
Wiedergeburten hin und her und

Lassen mich am Eisrand stehen
Ohne auch nur an die Erstattung meiner Unkosten zu denken

30. Mai 2013 16:30










Hendrik Rost

Aus den Reichen

Evolution I

Meine Tochter ist stolz, dass sie schwimmt. Sie sagt: „Ich kann schon tauchen.“ Ihr kleiner Bruder ist noch stolzer. Er behauptet überzeugend: „Ich kann schon unter Wasser atmen.“

Evolution II

Jede Geschichte hat
einen Anfang,
aber sie beginnt nicht,
dafür haben wir sie schon
zu oft gehört.

31. Mai 2013 12:11