Nikolai Vogel
01.01.2016
Schon wieder ein Jahr,
und 2015
vergangen, verrauscht,
und 2016
schon nicht mehr ganz.
Schon wieder ein Jahr,
und 2015
vergangen, verrauscht,
und 2016
schon nicht mehr ganz.
Springbrunnen aus Licht.
Der brennende Frost lässt sie
schnell trockenfallen.
Morgens das Fenster öffnen umblättern,
bereit zum Weiterleben -lesen
und dann das Erstaunen
über den weiß gewordenen Acker
über das Blatt ohne Druckerschwärze,
bestellbar beschreibbar
auch im neuen Jahr.
hier ist die rose die erste
einer reihe und die rose
heißt rose und ist keine
rose sie ist eine kneipe
die erste einer reihe und
sie heißt rose und sie ist
keine kneipe sie ist ein
leerstehendes ladenlokal
das erste einer reihe und
es heißt rose und es ist
kein ladenlokal es ist eine
baulücke die erste einer
reihe und sie heißt rose
Auf dem Parkplatz drüben, der Mitte
des grauen Morgens, lehnt eine Frau
mit Wintersonnenbrille an ihrem Auto.
Sie raucht hastig. Sie scheint zu warten.
Nur kommt keiner. Und es wird nicht hell.
Leichter Sprühregen, in dem sie ausharrt,
in die kahlen Wipfel zu den Krähen blickt,
auf ihre Uhr aus Gekrächz und Gekrächz.
Der Augenblick, vorbei. Der Paketdienst
liefert Pakete. Aus einem roten Reisebus
mit spanischem Schlachtruf an der Flanke
steigt ein Blasorchester. Worauf warten?
Such keinen Ausgang, such den Eingang.
Jeden erwartet viel Besseres als Träume!
*
4. Januar 2016 13:09Sechzehn
Die erste Zeche, als die Kohle noch eng
wie Sestinen unter unseren Hütten lag.
Sachlichkeit. Fossile Zähne, ein Lächeln
verteidigt die Freiheit im Unterholz
mit einer Sichel! Tigerzahnsäbel.
Soviele Knöpfe an einem Hemd.
Soviele Zäune in Sachsen, genug
um ein Sixpack aus Säcken zu füttern,
zu kühlen mit einem Bauch.
Seize
quelqu´un qui serre vraiment une seiche,
poisson de charbon. Coiffure de la
mer, les Antilles ont faim. L´anti-diamant,
mou, une soupe. Mangez, Sire,
une sucette de sirop dentifrice. Saint
et soufi, tousser comme une sale
haine, c´est la fin de la succulence
tout court.
Sixteen
you´re thin as a six made of bread and
Cobain everywhere. Hairy guitars,
coalminers drink too much dust but
they eat diamonds. Your password is
the neckverse. Show your jewels,
smile to the curly fly, she is waiting
till ten. Her name is Suzy and she will
be your sister for a season.
Antonio Rossi
Sedici
La prima miniera, quando ancora compatto
il carbone come sestine sotto i nostri capanni
giaceva. Oggettività. Denti fossili: un sorriso
nel sottobosco difende la libertà
con una falce! Sciabola di dente di tigre.
Tanti bottoni su una camicia.
Tanti steccati in Sassonia, bastanti
per rivestire un addominale a sei sacche
e con una pancia rinfrescarlo.
Àxel Sanjosé
Setze
Ets cec i a Sitges,
i sents com s’atansen les cendres,
potser l’estiu, potser l’hivern,
amb els colzes apartaries la gent
si n’hi hagués, au, crida el metge.
Les alzines s’han encès
els estels mostren llur sexe.
„Quiets!“ els dius, i es queden quiets
com dient: „I tu, qui ets?“
Dieciséis
¿Qué diosecitos habrán cedido
a tu incesante afán de ser
sin que se deshicieran los cielos,
esas dehesas con cirios
que siguen ahí, yermas y abiertas,
para que se citen los ascetas? Y ¡zas!
llegas tú y te desconviertes
en días inciertos, en bises:
¿Quiénes sois y qué decís?
Zwischen Stoff und Stoffen reihen sich
die bühnenreifen Freundlichkeiten: ein Spalier
von Schnäppchen, versierte Angebote
in der Lingua franca. In gerader
Linie reicht die Tradition zurück und
in die Zukunft: Kann keine Ausgangssperre
sein, die unterbräche diese Handelskette
aus dem Handgelenk. Die Grenzenlosigkeit
des Trottoirs, der Größenwahn der Achsen:
ein Seitenblick; ein Lächeln, das vorüberzieht.
Frau Atnan sagt, der Krieg sei das einzige, das sie jetzt noch reize. Das dürfe sie aber nicht sagen, das sei Kriegsverherrlichung, da drohe Strafe, meine ich, aber Frau Atnan ist schon fort. Und die Frau Glas, die solle bitte folgen, und ich, ja ich würd mich sowieso nicht trauen. Frau Glas, warum Frau Glas, das war doch Hugo Ball? Vielleicht befinde ich mich im Krieg und nicht Frau Atnan. Wir verwechseln uns, aber warum?
7. Januar 2016 23:1022.01 – Ich erinnere mich gern an Max. Er war gerade 6 Jahre alt geworden, als ich ihm zuletzt persönlich begegnete. Wir saßen damals an einem Küchentisch, es war Abend, Max schon müde. Er schüttelte etwas gelangweilt eine Paprikaschote und wunderte sich, weil in der gelben Frucht Bewegung zu sein schien. Ich nahm ihm die Paprika aus der Hand, und tatsächlich war in ihrem Inneren etwas lose geworden oder existierte dort, das sich üblicherweise nicht in einer Paprika befinden sollte. Also legte ich die Paprika zur Untersuchung auf einen Teller und öffnete sie vorsichtig. Es war ein kleines Loch, das ich in die Paprika schnitt. Seite an Seite sitzend warteten wir gespannt vor der Frucht darauf, ob vielleicht Irgendetwas oder Irgendjemand aus der Öffnung steigen würde. Indessen erzählte ich von der Erfindung der Tiefseeelefanten, von ihren kilometerlangen Rüsseln, die sie zur Meeresoberfläche recken, sofern sie den Atlantik durchqueren. Bald wurde Max ungeduldig, er nahm die Paprika in seine Hände, um durch das sparsame Loch zu spähen, ohne freilich etwas sehen zu können, es war dunkel da drin, weshalb ich das Loch vergrößerte, und außerdem noch zwei kleinere Löcher für das Licht seitwärts in den Körper trieb. Wiederum spähte Max in die Paprika, jetzt konnte er etwas erkennen. Er stellte nüchtern fest, dass sich in der Paprika ein Ohr befinden würde, ein Paprikaohr, ganz eindeutig. Zwei Jahre sind seither vergangen. Als ich kürzlich mit Max telefonierte, erklärte er, dass er in der Schule Tiefseemenschen mit Bleistift zeichnete. Immer wieder habe er die Körper der Tiefseemenschen, die über den Meeresboden spazierten, ausradiert, um sie noch kleiner zu machen, damit ihre Hälse auch lang genug werden konnten auf dem viel zu kleinen Blatt Papier, das ihm zur Verfügung gestellt worden war. – stop
0.55 – Mit dem langsamen Verschwinden der Briefe flüchten unsere Postwertzeichen in Schachtelbehälter, in Alben, in Museen, kostbare, bunte Wesen von Papier, die wir noch mit unseren Zungen befeuchteten, um sie mit Briefumschlägen für immer zu verbinden. Auch Gesten, die den Briefen zugeordnet sind, werden sich nach und nach verlieren. Die Geste des Zerreißens beispielsweise, oder die Geste des Zerknüllens. Wann habe ich zuletzt beobachtet, wie der Empfänger eines Briefes sich dem geöffneten Dokument mit der Nase näherte, um von der Luft der geliebten schreibenden Person zu atmen, die mit dem Brief gereist sein könnte? Verloren die Abdrücke der Tintenfinger, die Ränder einer Briefseite zierten, verloren auch das feine Geräusch der Skalpelle, indem sie teilend durch das seidene Futter der Kuvertkoffer ziehen. Ein absurder Gedanke möglicherweise, wie ich den E-Mailbrief einer Behörde, der mich zornig werden lässt, ausdrucke, wie ich ihn in einen Umschlag stecke, wie ich ihn für einige Sekunden in Händen halte, wie ich mich konzentriere, wie ich den Brief genussvoll in sehr kleine Teile zerlege. – stop
11. Januar 2016 01:24Frau Atnan sagt, ich solle nicht immer so empfindlich sein. Sie könne gar nichts mehr sagen, ohne dass ich nicht mit höchster Empfindlichkeit reagiere. Man könne mit mir nicht mal mehr ein normales Gespräch führen. Sie habe gut reden, antworte ich, sie könne sich gar nicht vorstellen, was sie mit ihren Worten in mir auslöse, es fehle ihr dafür das Vorstellungsvermögen, denn ich hätte eine ganz andere, wesentlich unglücklichere biografische Konstitution als sie. Sie wolle mich wohl mit Schweigen abstrafen, indem sie mir keine SMS mehr zukommen lasse, obwohl ich mich bei ihr für meine jüngste Empfindlichkeit in aller Form entschuldigt habe, wenngleich ich im Innersten der Meinung sei und dies an dieser Stelle denn doch mal laut sagen wolle, dass ich mir meine Empfindlichkeiten nicht einfach aussuchen würde, im Gegenteil, dass sie mich ungefragt heimsuchten und mir in den Nächten unsägliches Leiden zuführten. Ihr Schweigen diene mir dazu, mich zu besinnen. Wenn sie aber fortgesetzt schweige, müsse ich ihr Schweigen mit Schweigen beantworten, um mein Gesicht nicht zu verlieren, aber dann litte ich noch mehr, dann sei die Empfindlichkeit noch grösser, ob sie daher nicht doch wieder etwas sagen könne, und sei es nur etwas Beiläufiges.
11. Januar 2016 23:13Tage unter Null. Um zu erwachen, müsste ich den Gefrierpunkt überschreiten, die Eisdecke durchbrechen, vorm Dunkelwerden ein vernünftiges Wort sagen, nachhause kommen. Doch zu
sind die Augen wärmer. Wer zuerst aus dem Haus geht, tauscht die Warnung der Träume gegen eine Handynummer, die beim Einschalten hochkommt.
Man müsste Eisberge kennen, ich meine, ohne Spitze. Und – das hatte ich noch vergessen zu sagen – wir wählen, was zunehmend an Bedeutung verliert.
Die Abschaffung der Possessiv-Artikel haben wir übrigens Theo zu verdanken.
12. Januar 2016 06:23Ich spiele mit dir im Hof. Auf dem Balkon bellt ein Hund. Du schaust zu ihm auf. Knurrend steht er am Gitter, groß und schwarz. Doch du sagst nur trocken: „Pferd auch.“
Ich will dich erst korrigieren. „Wo ist da ein Pferd?“ Doch dann, als ich es wage am Hund vorbei durch die Balkontür ins Innere des Hauses zu schauen, sehe ich – der Sonne zum Trotz, die hier draußen alles zum Leuchten bringt – ganz hinten im dunklen Zimmer auf dem Regal, zwischen schemenhaften Zinnfiguren… ein kleines Holzpferd mit spärlichem Schweif.
Aber ich muss mich schon sehr anstrengen.
für meinen Sohn Arno, damals 3 Jahre
Lärchenlametta.
Die weiß verpackten Hänge,
beschleift mit Spuren.
Skifahrer bei Nacht, der Takt ist viel zu schnell, um ihn
rhythmisch zu erfassen, es handelt sich um die Panik von Skifahrern, die
im Dunkeln noch nachhause finden und nicht erfrieren wollen; eine tiefe
Frauenstimme versichert ihnen aber, dass sie sich nicht zu beeilen brauchen,
das Haus ist längst eingeschneit, abgebrannt?, egal: solange
sie sich bewegen, kann ihnen nichts passieren, angestrengt lauschen sie
dem Sirren der Seilbahn – natürlich ist ihr Herzschlag inzwischen viel lauter
So weiß blakt der Schnee.
Lampions, schwanken die Gondeln
erlöschend im Wind.
„Das Leben ist eine Eisrennbahn. Liegt Schnee, ist es kalt; liegt kein Schnee, ist es glatt; taut es, war alles nur eine Täuschung“, dachte der Japaner und lief so schnell wie Regentropfen fallen.
„Wenn ich die Augen schließe, sehe ich das Zittern auf der
Wasseroberfläche von unten, dann ist es nicht mehr das Zittern auf der
Wasseroberfläche, es ist das Zittern unter der Wasseroberfläche, auf der
Wasserunterfläche, das Zittern im Wasser, das Zittern, mein Zittern; es ist
die Musik des Anfangs und des Endes, d.h. des Windfangs,
der Umfang dieser Musik beträgt 1 Wasser, das Wasser trägt mich.“
den gesteuerten arm angebundnen
kopf gerannte wasser wasser
druck gelogne sprache gerannte
drehende geschobne gliedmassen
menge werfende steine der verdrehte
arm verbundne rücklings gedehnte lügen
reisst papier ab vom kopf die tiefe
in der sie gehoben von allen gehoben
midan ataba
25. Januar 2016 22:35plötzlich klappert die alte maschine
seit jahren steht sie nur ausgestellt
zusammen mit anderm alten gerät
darunter auch eine staubige contax
und sie erzählt uns ihre geschichte
von den gesprächen mit den andern
die ganze zeit und dass sie wünscht
was sie hervorbringt wären nicht nur
diese kleckse auf papier sie möchte
wie die kamera bilder machen nur
wirklicher nämlich bewegte bilder
lebende wesen mit echten wünschen
echtem gefühl und sie verzweifelt nur
wieder von maschinen zu schreiben