Markus Stegmann

Empfindlich

Frau Atnan sagt, ich solle nicht immer so empfindlich sein. Sie könne gar nichts mehr sagen, ohne dass ich nicht mit höchster Empfindlichkeit reagiere. Man könne mit mir nicht mal mehr ein normales Gespräch führen. Sie habe gut reden, antworte ich, sie könne sich gar nicht vorstellen, was sie mit ihren Worten in mir auslöse, es fehle ihr dafür das Vorstellungsvermögen, denn ich hätte eine ganz andere, wesentlich unglücklichere biografische Konstitution als sie. Sie wolle mich wohl mit Schweigen abstrafen, indem sie mir keine SMS mehr zukommen lasse, obwohl ich mich bei ihr für meine jüngste Empfindlichkeit in aller Form entschuldigt habe, wenngleich ich im Innersten der Meinung sei und dies an dieser Stelle denn doch mal laut sagen wolle, dass ich mir meine Empfindlichkeiten nicht einfach aussuchen würde, im Gegenteil, dass sie mich ungefragt heimsuchten und mir in den Nächten unsägliches Leiden zuführten. Ihr Schweigen diene mir dazu, mich zu besinnen. Wenn sie aber fortgesetzt schweige,  müsse ich ihr Schweigen mit Schweigen beantworten, um mein Gesicht nicht zu verlieren, aber dann litte ich noch mehr, dann sei die Empfindlichkeit noch grösser, ob sie daher nicht doch wieder etwas sagen könne, und sei es nur etwas Beiläufiges.

11. Januar 2016 23:13