Mirko Bonné

Eine Stockrose am Ufer des Largue

Summt süß
tickt tanzt
oben oben
Christus
küsst knospt
reckt reist
oben oben
steigt sacht
Engel empor
empor Engel
sacht steigt
oben oben
reist reckt
knospt küsst
Christus
oben oben
tanzt tickt
süß summt
am Ufer des Largue eine Stockrose

*

4. März 2021 11:38










Konstantin Ames

Pietà inn Bederstroff

@ woa a riessich kunschdschdoffdingn
@ hann eich als kläna buu schô gewuschd.
Hej hädd sullen imma mea sinn.
Hej wulld eich mea gesinn.
Hej is awa nidd mea.

Dadd woa zu kriwwelich geglawd.
Dadd woa en haus wo offn woa.
Hej hadd äna äfach de kelch geholl, weg wôra.
Abb dô woa zu (sunndachs nidd)
@ bleiwd zu (nidd nua naads).

11. März 2021 18:29










Konstantin Ames

Pietà in der Dorfkirche meiner Kindheit

Es war ein überlebensgroßes Ding aus Kunststoff.
Es war mir als Knirps schon klar.
Da sollte immer mehr sein.
Da wollte ich mehr sehen.
Da ist aber nicht mehr.

Das war ein zu ungestümer Glaube.
Das war ein offenes Haus.
Da kam ein Kelchdieb.
Von da an war zu (außer sonntags).
Es bleibt zu (auch tags).

13. März 2021 11:12










Alexander Peer

In der Mulde hockt ein Gedicht

Vormittags sind sie noch scheu.
Am Nachmittag rennen sie wie wild
bergauf, bergab.

Gestern ist mir ein prächtiges entwischt.
Aber es macht nichts.
Andere kommen zu mir.
Einige trauen sich einfach nicht näher.

Soll ich mich vor dem Schreiben rasieren?

16. März 2021 16:45










Konstantin Ames

Oliverse

Schlaf Oliver
Der Jäger hat kein Gewehr
Das Reh bleibt heute leben
Sie braten heut nur Reben
Schlaf Oliver
Der Schneider hat kein Scher
Der Stoff bleibt heut am Ballen
Verzähler kehrn Alleen
Schlaf Oliver
Der Wiglaf piept nicht mehr
Sein Seel war einer Krähe
Schulungsraum in der Nähe
Schlaf Oliver
Der Aal hats heute schwer
Er schreibt im Brief: mon cher
Ich wird einfach nicht vert
Schlaf Oliver

17. März 2021 17:27










Karin Fellner

Sisisi, sagt die Meise, bejaht die Risiken,
die riesige tragikomische Aufführung mit dem Titel
„Immun-Bataillone der Erde“.

Das allgemeine Streben, Strecken humanoider
Hände nach höheren Decken, mit quirligen Instrumenten
werden Sequenzen aus reduplizierten Strängen
zu neuen Sequenzen gelegt.

Am Herd steht Madame und schaut dem Wasser beim Aufkochen zu.
Die ineinander verketteten Moleküle werden zu einem Gewühl.
Wie lang können sie einander festhalten, wann
gleiten wir über die rutschigen Ränder als
schwankende Gestalten, die „Unheil“ und „Heilung“ sagen
oder „die Kranken und Alten“?

Hier wächst ein Hollerzweigle,
hier sitzt die laute Meise
und singt ihr Sisisi.

 

22. März 2021 15:02










Konstantin Ames

Neues vom Knie XXXVIII

Wer schriftstellernden Zwitscherern folgt, könnte auch Werbebier trinken.

23. März 2021 13:56










Christian Lorenz Müller

WIR SIND SCHNEE

Es schneit, es schneit das Schwarz
der Straßen weiß, wächtige Welt,
in der kein Weg mehr ist,
niemand hinterlässt noch eine Spur.
Der Soleschweif eines Räumfahrzeugs
schlägt noch einmal hin und her,
dann steht er still, die Stunden
stapfen stadtwärts, sie kehren zurück
und setzen sich ans Fenster,
wo unablässig die Gardinen
zugezogen werden, alles verweißt, verflockt,
alle Geräusche liegen am Boden, bedeckt, begraben,
du hast einen halb aufgeschlagenen Band
mit Frühlingslyrik in der Hand,
Schneepflug, der im Wetterbericht
stecken bleibt, weiterhin Schnee,
er verflaumt, verpudert den Blick,
das Licht beginnt zu erblinden,
hell blinzelt die Nacht durch die Laternen,
wir schlafen und träumen uns weiß,
wir fallen und wirbeln, sind weich
und verweht, wir sind Schnee.

24. März 2021 10:05










Andreas Louis Seyerlein

~

2.28 UTC – Ich lese in Dorothy Bakers Roman Young Man With A Horn. Plötzlich denke ich an Giuseppi Logan ( Hört ihm zu! ) dem ich im Jahr 2010 im Thompkins Square Park persönlich begegnet sein könnte. Viele Tage sind vergangen, seit ich eine Geschichte gelesen habe, von der ich mich sagen hörte, sie sei eine Geschichte, die ich nie wieder vergessen werde, die Geschichte selbst und auch nicht, dass sie existiert, dass sie sich tatsächlich ereignete, eine Geschichte, an die ich mich erinnern sollte selbst dann noch, wenn ich meinen Computer und seine Dateien, meine Notizbücher, meine Wohnung, meine Karteikarten während eines Erdbebens verlieren würde, alle Verzeichnisse, die ich studieren könnte, um auf jene Geschichte zu stoßen, wenn sie einmal nicht gegenwärtig sein würde. Diese Geschichte, ich erzähle eine kurze Fassung, handelt von Giuseppi Logan, der in New York lebt. Er ist Jazzmusiker, ein Mann von dunkler Haut. Logan, so wird berichtet, atme Musik mit jeder Zelle seines Körpers in jeder Sekunde seines Lebens. In den 60er Jahren spielte er mit legendären Künstlern, nahm einige bedeutende Freejazzplatten auf, aber dann war die Stadt New York zu viel für ihn. Er nahm Drogen und war plötzlich verschwunden, manche seiner Freunde vermuteten, er sei gestorben, andere spekulierten, er könnte in einer psychiatrischen Anstalt vergessen worden sein. Ein Mann wie ein Blackout. Über 30 Jahre war Giuseppi Logan verschollen gewesen, bis man ihn in einem New Yorker Park lebend entdeckte. Er existierte damals noch ohne Obdach, man erkannte ihn an seinem wilden Spiel auf einem zerbeulten Saxophon, einzigartige Geräusche. Freunde besorgten ihm eine Wohnung, eine Platte wurde aufgenommen, und so kann man ihn nun wieder spielen hören, live, weil man weiß, wo er sich befindet von Zeit zu Zeit, im Tompkins Square Park nämlich zu Manhattan. Es ist ein kleines Wunder, das mich sehr berührt. Ich will es unter der Wortboje Giuseppi Logan in ein Verzeichnis schreiben, das ich auswendig lernen werde, um alle die Geschichten wiederfinden zu können, die ich nicht vergessen will. – Heute las ich, dass der alte Mann im April 2020 im Lawrence Nursing Care Center in Far Rockaway, Queens während der COVID-19-Pandemie in New York City an den Folgen einer SARS-CoV-2-Infektion gestorben ist. – stop

für Karin Fellner

Fotographie Jon Rawlinson

„Niemand klang in einem Ensemble so wie
Giuseppi [Logan]. Bei seinem Spiel hielt er seinen Kopf weit zurück;
dazu erklärte er: „Auf diese Art ist meine Kehle weit offen“,
so konnte er mehr Luft einziehen. Er spielte in einem
Umfang von vier Oktaven auf dem Altsaxophon. Was
ihn als Improvisator von anderen unterschied,
war die Art, wie er seine Noten platzierte
und damit einen bestimmten Klang schuf,
dem die anderen der Gruppe dann folgten.
Seine Stücke waren aus diesem Grund sehr
attraktiv; Giuseppi hatte seine ganz eigenen
Ansichten über Musik …“ – Bill Dixon

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25. März 2021 16:31