Mirko Bonné

Die Liebesbriefe meines Vaters

Freitags machte er sich eine Dose Jax auf,
Wenn er nach Hause kam von der Mühle,
& bat mich, meiner Mutter zu schreiben,
Die Postkarten schickte mit Wüstenblumen,
Größer als Menschen. Er flehte,
Versprach, nie wieder würde er sie
Schlagen. Irgendwie war ich froh,
Dass sie weg war, & manchmal wollte ich
Die Erinnerung einfügen, dass ja Mary Lou
Williams’ „Polka Dots & Moonbeams“
Die Schwellung nie zurückgehen ließ.
Seine Tischlerschürze war immer ausgebeult
Mit alten Nägeln, ein Klauenhammer
Hing an seiner Seite & Verlängerungskabel
Wickelten sich ihm um die Füße.
Wörter kullerten heraus, wenn ich
Auf meinen Kuli drückte: Liebes,
Baby, Honey, bitte.
Wir saßen da in der schweigsamen Brutalität
Von Spannungsmessern & Rohrgewindeschneidern,
Verlorengegangen zwischen den Sätzen …
Der Schimmer eines Fünf-Pfund-Keils
Auf dem Betonboden
Zog einen Sonnenuntergang
Durch die Tür in seinen Geräteschuppen.
Ich fragte mich, ob sie lachte
& sie über einen Gasbrenner hielt.
Mein Vater konnte nur unterschreiben,
Mehr nicht, aber sah er sich Baupläne an,
Dann wusste er, aus wie vielen Ziegeln
Jede Wand bestand. Dieser Mann,
Der Rosen & Hyazinthen stahl
Für seinen Hof, stand da,
Augen geschlossen & Fäuste geballt,
Rackerte sich ab mit einem einfachen Wort, fast
Erlöst von dem, was er zu sagen versuchte.

Yusef Komunyakaa

My Father’s Love Letters“, aus: „Magic City“, Wesleyan University Press, Middletown, Connecticut 1988 (Aus dem Englischen von Mirko Bonné)

*

1. Dezember 2025 22:24










Sylvia Geist

Der Geschmack von Fadenschein

Alles wird gut im Schlafsaal der Engel. Wo unter einem Dach so blau
wie Welpenaugen die Dinge sich dem Sinn ergeben, den sie zuvor,
kraft welcher Zauberwörter immer, gemacht haben. Woanders leben

Menschen, finden Zuversicht in Gebeten oder der Gewissheit, dass
Singen den Vagusnerv beruhigt, und kommen mit der S-Bahn durch
den laufenden Monat. Hallen, Tunnelhallen unter glatten Himmeln,

vorbei an Markthallen, Lagerhallen, Hallen voll mit plattem Land.
Im Gang hält jemand eine Ansprache an die Satten, die Geizigen,
die Heuchler. Was wird eine Sprache hier, wo sie nicht mehr bittet,

die bittere? Im Bauch das Frettchen Scham, wird sie still. Ich glaube
an die Gespräche in den verrückteren Zimmern dessen, was ich meine
Sinne nenne, und wenn du von dem Tag erzählst, als die Wetterapps

eigentlich noch einen mehr auf dem Trockenen versprochen hatten,
und von dem dünnen Farbband überm Gleis, zum sichtbaren Beweis
für unser Sonnenlichtspektrum geoffenbart vom Schauer in der Sekunde,

da deine Bahn ab in den Untergrund rauschte, macht mein Mund O
wie in good oder god. Nicht weil ich sähe was du siehst, nur liegt mir
die Vokabel Fadenschein auf der Zunge und schmeckt nach Honig.

3. Dezember 2025 13:38










Mirko Bonné

Zgorzelec

Erinner dich, sage ich mir,
an Görlitz und an die Stadtteile

am anderen Ufer der Lausitzer Neiße,
die Zgorzelec hießen und in Polen lagen

unter den gleichen im Sommerwind
blinkenden uralten Kastanien.

Es ist lange her, du in Zgorzelec.
Über die Brücke bist du gegangen,

und auf einem schattigen Platz, da
stand ein Bau wie aus einem Traum,

wo alles fremd wirkte, man selbst auch.
Hundert Leute saßen darin auf Stühlen,

alt, die Menschen, Stühle, der Traum,
und vorn, in einem hellen Leuchten,

las Adam Zagajewski seine Gedichte.
Das Licht, das leise Rasseln des Laubs

und sogar die Leute und ich, wir Skeptiker
und Skeptikerinnen aus Zgorzelec, Görlitz,

von wer weiß wo, alle waren wir offenbar
ergriffen von lauter Lebendigkeit.

Eine wundersame Stunde, wahrlich
unverhofft. Erinnerst du dich?

*

23. Dezember 2025 18:09