liu xiaobo

Du wartest mit Staub auf mich

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– für meine Frau, die Tag für Tag wartet

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nichts bleibt dir übrig, nichts

als im Staub unseres Hauses auf mich zu warten

diese Schichten

angehäuft, wachsend, in jeder Ecke

jedes Licht würde ihre Stille stören

du wirst die Vorhänge nicht öffnen

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Du wartest mit Staub auf mich

über dem Bücherbord, die handgeschriebene Aufschrift ist staubbedeckt

auf dem Teppich atmet das Muster Staub ein

wenn du einen Brief an mich schreibst

und es liebst dass der Stift ein Staubstift ist

sind meine Augen niedergestochen vor Schmerz

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du sitzt dort den ganzen Tag

wagst nicht dich zu rühren

aus Angst den Staub in den Staub zu treten

du versuchst bewusst zu atmen

nutzt Stille um eine Geschichte zu schreiben.

In Zeiten wie diesen

zeigt sich nur

der erstickende Staub treu

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deine Vorstellung, Atem und Metrum

dringen ein in den Staub

in der Tiefe deiner Seele

wird das Grab Zentimeter um Zentimeter

aufgeschüttet von den Füßen

bis zur Brust

bis zum Hals

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du weißt dass das Grab

für dich der beste Rastplatz ist

um dort auf mich zu warten

angstfrei und ohne Gefahr

deshalb hast du lieber Staub

im Dunkeln, in gefasstem Ersticken

und wartest, wartest auf mich

du wartest mit Staub auf mich

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abgeschirmt von Sonnenlicht und Luftzug

lass den Staub dich nur völlig begraben

überlass dich nur dem Schlaf im Staub

bis ich wieder da bin

und du aufgeweckt kommst

dir den Staub von der Haut von der Seele zu wischen.

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Was für ein Wunder – von den Toten zurück.

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9. April 1999


Übersetzung: Sünje Lewejohann, Björn Kiehne, Hendrik Rost, Sylvia Geist, Thorsten Krämer, Kerstin Preiwuß, Mirko Bonné und Hans Thill;  Vita und Links: Carsten Zimmermann; Bildschirmaufnahmen genommen von einer Produktion der Journeyman Pictures.

20. März 2011 22:02