Thorsten Krämer

Appellare humanum est

Während im Feuilleton, und vermehrt auch unter den Autoren, die Debatte um Google Books und Open Access tobt, gerät ein anderes, schon viel zu lange sträflich vernachlässigtes Problemfeld vollends aus dem Blick: Die systematische Verletzung, ja Aushöhlung des Urheberrechts durch Antiquariate! Besonders jene, die sich durch den Euphemismus „modern“ das Deckmäntelchen der Aufgeklärtheit anziehen, erzielen seit Jahrzehnten ihre Gewinne einzig und allein auf Kosten der Autoren und Verlage. Denn die Bücher, die sie einkaufen, verkaufen sie ja zu einem höheren Preis weiter; von dieser Differenz fließen aber null Prozent an die Urheber, mit deren geistigem Eigentum hier also auf übelste Weise Schindluder getrieben wird.
Besonders perfide an dieser illegitimen Wertschöpfung ist die Möglichkeit, dasselbe Buch nicht nur einmal, sondern wieder und wieder zu verkaufen, jede einzelne Transaktion nichts anderes als ein Griff ins ohnehin gebeutelte Portemonnaie des Autors! Doch nicht nur das: Oft werden dort Bücher verkauft, die praktisch neuwertig sind, deren einziger ‚Mangel‘ in einem fadenscheinigen Stempel, oder gar nur einem lieblos ausgeführten Strich mit dem Filzstift besteht. Kein Wunder, dass viele Buchkäufer da zu dieser preiswerten Alternative zum Neu-Buch greifen! Es ist bezeichnend, dass die Verluste, die dadurch jährlich entstehen, noch nie Gegenstand einer umfassenden Erhebung waren!
Im Falle von vergriffenen Büchern ist der Schaden durch die Antiquariate freilich noch größer: Indem sie solche Titel in gebrauchter Form verfügbar halten, verhindern sie, dass es zu Neuauflagen kommt – auch dadurch werden Verlage und Urheber um ihre verdienten Einkünfte gebracht. Ein anderer Schaden ist zwar nicht finanzieller Natur, trifft aber besonders die sensibleren unter den Autoren: Mitunter entdecken sie ihre Bücher in solchen Antiquariaten in unmittelbarer Nähe von Titeln, mit denen sie nichts gemein haben wollen – die Periodika des Fleischerhandwerks seien hier nur als besonders abstoßendes Beispiel genannt. In manchen Fällen fungieren die Bücher sogar ausschließlich als Lockangebot für der Literatur gänzlich wesensfremde Geschäftsinteressen: Vor dem Schaufenster steht dann beispielsweise eine sogenannte Bücherkiste, während drinnen gebrauchte Kinderkleidung verkauft wird!
Es ist deshalb an der Zeit, dass Autoren, Verleger und Literaturwissenschaftler nicht länger die Augen vor diesen Missständen verschließen, sondern entschlossen an die Politik appellieren, um diesem Treiben ein Ende zu machen. Die Forderung kann nicht anders als eindeutig ausfallen: Sofortiges Verbot des Verkaufs gebrauchter Bücher und Schließung aller Antiquariate!
(Wünschenswert wäre es übrigens, wenn ein solcher Appell von einem Ort wie Göttingen oder Tübingen ausginge, schon allein der symbolischen Wirkkraft wegen.)

26. März 2009 16:07