Andreas Louis Seyerlein

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5.08 – In der Bibliothek entdeckte ich vor einiger Zeit einen Zettel. Der Zettel steckte in einem Buch, das ich entliehen hatte, um nach einer Geschichte zu suchen, die ich vielleicht schon einmal gelesen haben könnte vor vielen Jahren. Es war eine Geschichte, die von einem Gespräch erzählt, welches Frau Blum mit ihrem Milchmann führte, in dem sie dem Milchmann Botschaften sendete, ein Verhalten, das notwendig gewesen war, weil Frau Blum üblicherweise schlief, wenn der Milchmann frühmorgens das Haus besuchte, in dem sie wohnte. Diese Geschichte, ein wunderbares Stück, hat Peter Bichsel geschrieben, eine ganze Welt scheint in ihr enthalten zu sein, obwohl sie so kurz ist, drei Seiten, dass man sie von einer Station zur nächsten Station in einer Straßenbahn reisend Wort für Wort zu Ende lesen könnte. Ich erinnere mich, das Buch lag weich in meiner Hand, es war etwas schmutzig, zerlesen, auf seiner Rückseite waren einige dutzend Stempelaufträge zu finden, so wie man das früher noch machte, Bücher mit Rückgabeterminen zu versehen, so dass jeder sehen konnte, wie oft das Buch bereits gelesen worden war. Dieses Buch, von dem ich gerade erzähle, war seit über zwanzig Jahren nicht mehr ausgeliehen worden. Ich stellte mir vor, dass das Bändchen vielleicht hinter eine der Bücherreihen gerutscht sein könnte, weswegen es lange Zeit nicht gefunden werden konnte. Vermutlich war das Buch längst verloren gemeldet, so dass ich ein Bücherexemplar in Händen hielt, das in den Verzeichnissen der Bibliothek nicht länger existierte. Anderseits scheint es möglich zu sein, dass das Buch versteckt worden sein könnte. Vielleicht war es von genau jener Person versteckt worden, die den Zettel in das Buch gelegt hatte, eine Person, die möglicherweise bereits gestorben ist. Das alles ist natürlich reine Spekulation, allein die Existenz des Zettels ist sicher. Dort war in blauer, akkurater Schrift zu lesen: Wie man einen Vermerk schreibt, um sich an gelesene Geschichten erinnern zu können. – stop

6.15 – Vor wenigen Minuten, ein Mensch sprach sehr leise, habe ich beobachtet, dass ich meinen Mund öffnete, um besser hören zu können, ein anderes Mal, dass ich beide Arme hebe, also von mir abwende, also Flügel mache, sobald ich durch die Wohnung laufe und darüber nachdenke, wie es wäre, ohne jedes Gewicht zu sein. Das war gegen drei Uhr in der Nacht gewesen. Ich spielte sehr leise etwas von Gene Krupa auf dem Radio. In dem Moment, da ich die Küche verließ und über den Flur spazierte, überholte mich eine Fliege. Sie flog in der Höhe meiner Schultern und zwar sehr langsam geradeaus. Sie war nicht viel schneller als ich selbst gewesen. Ich hatte den Eindruck, sie würde mir folgen, sie würde mit mir das Zimmer wechseln, nicht einem Reflex folgend, sondern überlegt und mit Genuss. Sie war so langsam, dass man sie auf einer Fotografie meiner Zimmerwanderung sehr gut hätte erkennen können. In diesen Minuten sitzt die Fliege direkt über mir an der Decke, während ich auf dem Sofa auf dem Rücken liege und notiere. Die Fliege beobachtet mich vielleicht genauso wie ich sie beobachte. Von Westen her nähert sich eine Spinne da oben, die so klein ist, dass wir sie nicht ernst nehmen wollen. Bald Dämmerung. – stop

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10. August 2014 04:54










Andreas Louis Seyerlein

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3.25 – Leichter, gnädiger Regen heut Nacht. Gegen zwei Uhr nehme ich Gilles Leroys Roman Zola Jackson zur Hand. Ich schaue auf die Uhr, fange an zur vollen Stunde, versuche so viele Seiten des Buches zu lesen in dieser kommenden Stunde wie möglich, ohne auf Gefühle, die Wörter erzeugen könnten, verzichten zu müssen. Um drei Uhr lege ich das Buch zur Seite. Drei Falter sind in die Wohnung vorgedrungen. Ich weiß nicht weshalb, ich meine in ihren pelzartigen Erscheinungen verkleidete Wesen erkennen zu können. Wenn ich einen Gedanken, der vielleicht seltsam ist, der Erfindung sein könnte, lange genug betrachte, vermag ich die Konsequenzen dieses Gedankens wahrzunehmen, als wäre die Erfindung tatsächlich vor mir in der Luft, und flatterte herum, und suchte an den Wänden meines Zimmers nach einem Ausgang in den Tag, der niemals existierte. – stop

2.54 – Gestern Abend erreichte mich eine E-Mail von Georges. Er schreibt: Mein lieber Louis, wie ich durch die Stadt Valletta schlenderte, bemerkte ich in der West Street nahe St. Lucia eine kleine Werkstatt. Sie war düster, aber gerade noch hell genug, dass ich ein Mädchen erkennen konnte, das an einem Tisch saß, sie schien Hausaufgaben zu machen. Ich richtete meine Kamera auf das Mädchen, um es zu fotografieren, da hob sie den Kopf und sah mich an mit einem freundlichen Blick. Ich fragte, ob ich eintrete dürfe. Es war ein wirklich düsterer Ort, das Licht der Straße erreichte gerade noch den Tisch, auf dem das Schulheft des Mädchens lag, und es war kühl, und es ging ein leichter Wind. In der Tiefe des Raumes erkannte ich einen weiteren Tisch, der von einer Glühbirne beleuchtet wurde, die ohne Schirm von der Decke baumelte. Hinter dem Tisch hockte ein dunkelhäutiger, alter Mann mit weißem Haar. Ich grüsste auch in seine Richtung. Als ich mich gerade herumdrehen wollte, um auf die Straße zurückzukehren, schaltete der Mann einen gläsernen Leuchtglobus an. Ein schönes blaues und gelbes Licht von Meeren und Wüsten strahlte in den Raum, vor dessen Wänden Regale bis zur Decke ragten. Dort warteten weitere Erdkugeln, es waren einige Hundert bestimmt. Ich bemerkte, dass der Mann auf dem Tisch Gläschen mit Farbe zu einer Reihe abgestellt hatte, er selbst hielt einen feinen Pinsel und ein Messer mit einer winzigen Klinge in der Hand. Außerdem ruhte der Globus vor dem Mann auf dem Kopf, vielleicht deshalb, weil er einmal aus seiner Fassung genommen und augenscheinlich herumgedreht worden war, der Südpol befand sich im Norden, der Nordpol im Süden der leuchtenden Kugel, an welcher der Mann mit seinen Werkzeugen arbeitete. Es war eine Arbeit für ruhige Hände. In dem Moment als ich näher gekommen war, nahmen sie gerade die Entfernung des Schriftzuges Cape Town vor, der selbst auf dem Kopf stehend in das Blau des Meeres jenseits des afrikanischen Kontinentes reichte. Aus nächster Nähe nun beobachtete ich, wie der alte Mann die Spuren, die die Radierung des Schriftzuges erzeugt hatte, mit blauer Farbe füllte. Immer wieder prüfte er indessen den Ton der Pigmente, in dem er eine Lupe in sein linkes Auge klemmte. Er schien weitgehende Erfahrung in dieser Arbeit gesammelt zu haben, seine Hände bewegten sich schnell, es roch nach Terpentin, und der Mann hauchte gegen das Meer, wohl um seine Trocknung zu beschleunigen. Dann begann er zu schreiben, er schrieb Cape Town, er schrieb die Wörter so, dass sie nun richtig herum vor unseren Augen erschienen. Ich erinnere mich an ein Motorrad, das auf der Straße vorbei knatterte. Das Mädchen hatte seine Schulhefte geschlossen und war ins Licht der Sonne getreten. Plötzlich war es verwunden. – stop
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6. Juli 2014 02:25










Andreas Louis Seyerlein

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2.21 – Ich erinnere mich an ein Gespräch vor fünf Jahren mit Din. Ihre leise singende Stimme. Sie sei, als die Panzer kamen, in eine Seitenstrasse geflüchtet. Wie sie ihre Augen schloss, wie sie sagte, sie habe keine Menschen mehr gesehen nach kurzer Zeit, einige Freunde nur, die sich an Häuserwände drückten. Die Hand ihrer großen Schwester. Die Druckluft, die auf ihrem kleinen Körper bebte. Aber Menschenstille. Wie sie nach Wörtern suchte, nach Wörtern in deutscher Sprache, die geeignet gewesen wären, zu beschreiben, was sie in dem Moment, da ich auf die Fortsetzung ihrer Erzählung wartete, hörte in ihrem Kopf. Das feine, seltsame Lächeln auf ihrem Gesicht, als sie am Ausdruck meiner Augen bemerkt, dass ich wahrgenommen haben könnte, dass die Bilder, die ich wusste, tatsächlich geschehen waren, das Massaker auf dem großen Platz, stolpernde Menschen, Menschen auf Bahren, zermalmte Fahrräder, der Mann mit Einkaufstüten in seinen Händen auf der Paradestraße vor einem Panzer stehend. Dann die Flucht ins häusliche Leben zurück wie in ein Versteck, das stumme Verschwinden junger Leben für immer. – Du solltest mit Stäbchen essen, sagte Din, das machst Du so, schau! – stop

0.05 – Kurz nach Mitternacht: Leichter Regen. Aber nicht wirklich Regen, sondern Regen, weil ich in mein Notizbuch notierte: 18. April – Regengeräuschwörter sammeln. Also spaziere ich durch die Wohnung und versuche, mangels wirklichen Regens, Regen vorzustellen. Das ist eine sehr angenehme Übung: Regen in den Wäldern, Regen im Gebirge, Regen in der Stadt. Oder Nachtregen, Herbstregen, Regen, der auf ein Fährschiff fällt. Gestern Abend habe ich Regengeräusche gehört, die durch ein Telefon übertragen wurden. Als ich noch Kind war, verließ ich gern das Haus ohne Schirm, wenn es regnete. Kaum war ich auf der Straße, kamen Schnecken unter den Bäumen hervor. Der Regen machte sie schnell und mutig. Sie kannten den kleinen Schneckenjäger noch nicht, der sie sammelte, der sie in Gläser steckte. Wenn ich sie betrachtete, hatte ich den Eindruck, ihr schimmernder Körper würde sich mit Regen gefüllt haben. Seither ist die Farbe des Regens von der Farbe der Schneckenfüße. – stop

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5. Juni 2014 01:38










Andreas Louis Seyerlein

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2.28 – Das Museum der Nachthäuser befindet sich am Shore Boulevard nördlich der Hell Gates Bridge, die den Stadtteil Queens über den East River hinweg mit Randilis Island verbindet. Es ist ein recht kleines Haus, rote Backsteine, ein Schornstein, der an einen Fabrikschlot erinnert, ein Garten, in dem verwitterte Apfelbäume stehen, und der Fluss so nah, dass man ihn riechen kann. Während eines Spazierganges, zufällig, entdeckte ich dieses Museum, von dem ich nie zuvor gehört hatte. Es war ein später Nachmittag, ich musste etwas warten, weil das Museum niemals vor Einbruch der Dämmerung öffnete. Es ist eben ein Museum für Nachtmenschen, die in Nachthäusern wohnen, welche erfunden worden waren, um Nachtmenschen artgerechtes Wohnen zu ermöglichen. Als das Museum dann endlich öffnete, war ich schon etwas müde geworden, und weil ich der einzige Besucher in dieser Nacht gewesen war, führte mich ein junger Mann herum. Er war sehr geduldig, wartete, wenn ich wie wild in mein Notizbuch notierte, weil er spannende Geschichten erzählte von jenen merkwürdigen Gegenständen, die in den Vitrinen des Museums versammelt waren. Von einem dieser Gegenstände will ich kurz berichten, von einem metallenen Wesen, das mich an eine Kreuzung zwischen Gecko und Spinne erinnerte. Das Ding war verrostet. Es hatte die Größe eines Schuhkartons. An je einer Seite des Objekt saßen Beine fest, die über Saugnäpfe verfügten, eine Kamera thronte obenauf wie ein Reiter. Der junge Mann erzählte, dass es sich bei diesem Gerät um ein Instrument der Verteidigung handelte, aus einer Zeit da Nachtmenschen mit Tagmenschen noch unter den Dächern ein und derselben Häuser wohnten. Das kleine Tier saß in der Vitrine, als würde er sich ducken, als würde es jederzeit wieder eine Wand besteigen wollen. Das war nämlich seine vornehme Aufgabe gewesen, Zimmerwände zu besteigen in der Nacht, sich an Zimmerdecken zu heften und mit kleinen oder größeren Hammerwerkzeugen Klopf- oder Schlaggeräusche zu erzeugen, um Tagmenschen aus dem Schlaf zu holen, die ihrerseits wenige Stunden zuvor noch durch ihre erbarmungslos harten Schritte den Erfinder der Geckomaschine, einen Nachtarbeiter, aus seinen Träumen gerissen haben mochten. Es war, sagte der junge Mann, immer so gewesen damals in dieser schrecklichen Zeit, dass sich Tagmenschen sicher fühlten vor Nachtmenschen, die unter ihnen lebten, die mit Schritten die Zimmerdecken ihrer Wohung niemals erreichen konnten. Aus und fini! – stop

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17. Mai 2014 14:45










Andreas Louis Seyerlein

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1.58 — Ich stelle mir eine hand­li­che Box vor, nicht grö­ßer als eine Streich­holz­schach­tel. Wenn ich diese Box öff­nete, würde 1 Stunde der Stadt New York in ihr fest­ge­hal­ten sein, jeder Mensch und jeder sei­ner Atem­züge, Gedan­ken, Gesprä­che und Wün­sche. Auch alle gro­ßen und klei­nen Häu­ser, Stra­ßen, Züge wären ver­sam­melt, das Licht und seine Schat­ten, Vögel und Wol­ken, das Was­ser der Flüsse, das Meer, das Lachen der Kin­der, und jede der Beckett­ge­stal­ten, die mir begeg­nen, wohin ich auch geh. Könnte zufrie­den bald in einem Park sit­zen und war­ten, 1 Stun­den­zeit in der Hosen­ta­sche. Auf dem Tisch eine Traube, mein Blick ruht sich aus. Dann wie­der gehen, Stunde um Stunde gehen und schla­fen, schauen und zugleich nicht schauen, kurze Bli­cke, Sekun­den­bil­der, Augen geschlos­sen, Bli­cke durchs trans­pa­rente Lid abends auf der gro­ßen alten Brü­cke mit der blät­tern­den ros­ti­gen Haut, das Vibrie­ren der Schritte, der Stim­men auf höl­zer­nen Ste­gen von Insel zu Insel. — stop

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1. April 2014 17:02










Andreas Louis Seyerlein

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22.58 – Die Vorstellung der Luftposttiere in dieser Nacht, wie sie einem Briefumschlag entkommen. Noch ruhen sie flach auf dem Tisch, helle Erscheinungen, biegsam wie die Blätter der Buchen. An einer ihrer Kanten ist ein rötlicher Punkt zu erkennen, ein Auge eventuell, dort auch ein sehr kleiner Mund, der atmet. Man vermag diesen Mund nur dann zu entdecken, wenn man über ausgezeichnete Augen verfügt, oder über eine Brille. Es lohnt sich genau hinzusehen. Sandfarbene Lippen und eine rosafarbene Zunge, nicht größer als ein gepresstes Reiskorn. Sobald man ein Luftpostfalttier aus seinem Umschlag holt, wacht es auf, weil es im Umschlag noch zwingend schlafen musste, Schlaf und Umschlag sind Geschwister. Aber dann beginnt das Tier in den Raum zu atmen. Indem es atmet, entfaltet sich sein Körper. Es ist immer wieder bemerkenswert, welch faszinierende Gestalten erscheinen, afrikanische Luftpostfalttiere sind europäischen Luftpostfalttieren durchaus nicht ähnlich. So oder so wird man staunen und erzählen. – Kurz nach Mitternacht auf dem Maidan-Platz, Kiew. — stop

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18. Februar 2014 21:18










Andreas Louis Seyerlein

3.18 — Ich gehe ein paar Schritte nach links, dann gehe ich ein paar Schritte nach rechts. Sobald ich gehe, denke ich in einer ande­ren Art und Weise, als würde ich noch sit­zen. Ich habe schon viel nach­ge­dacht wäh­rend ich ging. Und ich habe schon viel ver­ges­sen wäh­rend ich ging. Wenn ich gehe, kom­men die Gedan­ken aus der Luft und ver­schwin­den wie­der in die Luft. Wenn ich sitze, kom­men die Gedan­ken aus den Hän­den. Sobald ich ein­mal nicht schreibe, ruhen meine Hände auf den Tas­ten und war­ten. Sie war­ten dar­auf, dass eine Stimme in mei­nem Kopf dik­tiert, was zu schrei­ben ist. Ich könnte viel­leicht sagen, dass meine Hände dar­auf war­ten, mein Gedächt­nis zu ent­las­ten. Was ich mit mei­nen Hän­den in die Tas­ta­tur der Maschine schreibe, habe ich gedacht, aber ich habe, was ich schrieb nicht gelernt, nicht gespei­chert, weil ich weiß, dass ich wie­der­kom­men und lesen könnte, was ich notierte. Selt­same Dinge. Ich denke manch­mal selt­same Dinge zum zwei­ten oder drit­ten Mal. Gerade eben habe ich wahr­ge­nom­men, dass es nicht mög­lich ist, zwei Zei­chen zur sel­ben Zeit auf mei­ner Schreib­ma­schine zu schrei­ben, immer ist ein Zei­chen um Bruch­teile von Sekun­den schnel­ler als das andere Zei­chen. Wenn ich selt­same Dinge gedacht habe, freue ich mich. Wenn ich mich freue, kann ich nicht blei­ben, wo ich bin. Die Freude ist ein Gefühl, das mich in Bewe­gung ver­setzt. Ich springe auf, wenn ich sitze, oder ich springe in Luft, wenn ich bereits auf mei­nen Bei­nen stand. Dann gehe ich ein paar Schritte nach links, dann gehe ich ein paar Schritte nach rechts. Sobald ich gehe, denke ich in einer ande­ren Art und Weise, als würde ich noch sit­zen. — Kurz nach vier Uhr auf dem Maidan-Platz, Kiew. — stop

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28. Januar 2014 21:15










Andreas Louis Seyerlein

MELDUNG. Tief­see­e­le­fan­ten, 588 hupende Rüs­sel­ro­sen, nahe Mau­ri­tius gesich­tet. Man wan­dert in süd­li­cher Rich­tung. — stop

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1. Dezember 2013 04:11










Andreas Louis Seyerlein

3.55 — Einige mei­ner Bücher schei­nen über ein gehei­mes Gedächt­nis zu ver­fü­gen. Wenn ich ein Buch mit Gedächt­nis nach Jah­ren aus dem Regal nehme und auf einen Tisch lege, öff­net es sich ein­we­nig, ein Raum ent­steht, als würde das Buch nach einem Fin­ger rufen, der genau in die­sen Raum hin­ein­fas­sen soll. Ich lese dort Sätze, die mir ver­traut sind, viel­leicht, weil ich sie oft wie­der­holte, woran sich das Buch noch immer erin­nert. Vor kur­zem öff­nete sich ein Bänd­chen Elias Canet­tis genau in die­ser Weise. Ent­deckte: Es ist das Gute an Auf­zeich­nun­gen, dass sie frei von Berech­nung sind. Sie sind zu rasch, sie hat­ten kaum Zeit, der Kopf, in dem sie ent­stan­den sind, konnte noch nicht fra­gen, wozu sie zu gebrau­chen wären. — stop

5.28 — Ein­mal machte ich einen Aus­flug zu einer Tante, die seit über zehn Jah­ren in einem Heim lebt, weil sie sehr alt ist und außer­dem nicht mehr den­ken kann. Der Flie­der blühte, die Luft duf­tete, meine Tante saß mit ande­ren alten Frauen an einem Tisch und schlief oder gab vor zu schla­fen. Ihr Gesicht war schmal, ihre Augen­li­der durch­sich­tig gewor­den, Augen waren unter die­ser Haut, blau, grau, rosa, eine Gischt hel­ler Far­ben. Ich drückte meine Stirn gegen die Stirn mei­ner Tante und nannte mei­nen Namen. Ich sagte, dass ich hier sei, sie zu besu­chen und dass der Flie­der im Park blü­hen würde. Ich sprach sehr leise, um die Frauen, die in unse­rer Nähe saßen, nicht zu stö­ren. Sie schlie­fen einer­seits, andere betrach­te­ten mich inter­es­siert, so wie man Vögel betrach­tet oder Blu­men. Es ist schon selt­sam, dass ich immer dann, wenn ich glaube, dass ich nicht sicher sein kann, ob man mir zuhört, damit beginne, eine Geschichte zu erzäh­len in der Hoff­nung, die Geschichte würde jen­seits der Stille viel­leicht doch noch Gehör fin­den. Ich erzählte mei­ner Tante von einer Wan­de­rung, die ich unlängst in den Ber­gen unter­nom­men hatte, und dass ich auf einer Bank in ein­tau­send Meter Höhe ein Tele­fon­buch der Stadt Chi­cago gefun­den habe, das noch les­bar gewe­sen war und wie ich den Ein­druck hatte, dass ich aus den Wäl­dern her­aus beob­ach­tet würde. Ich erzählte von Leber­blüm­chen und vom glas­kla­ren Was­ser der Bäche und vom Schnee, der in der Sonne knis­terte. Doh­len waren in der Luft, wun­der­volle Wol­ken­ma­le­rei am Him­mel, Sala­man­der schau­kel­ten über den schma­len Fuß­weg, der auf­wärts führte. So erzählte ich, und wäh­rend ich erzählte eine halbe Stunde lang, schien meine Tante zu schla­fen oder zuzu­hö­ren, wie immer, wenn ich sie besu­che. Ihr Mund stand etwas offen und ich konnte sehen wie ihr Bauch sich hob und senkte unter ihrer Bluse. Am Tisch gleich gegen­über war­tete eine andere alte Frau, sie trug wei­ßes Haar auf dem Kopf,  Haar so weiß wie Schreib­ma­schi­nen­pa­pier. Vor ihr stand ein Tel­ler mit Erb­sen. Die alte Frau hielt einen Löf­fel in der Hand. Die­ser Löf­fel schwebte wäh­rend der lan­gen Zeit, die ich erzählte, etwa einen Zen­ti­me­ter hoch in der Luft über ihrem Tel­ler. In die­ser Hal­tung schlief die alte Frau oder lauschte. — stop

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5. November 2013 14:08










Andreas Louis Seyerlein

MELDUNG. Per Kurs­wa­gen via Rom — Flo­renz — Mai­land – Paris in Lon­don ein­ge­trof­fen : Sing­zi­ka­den auf Achse, ein gutes Dut­zend, Gleis 18, Water­loo Sta­tion. Man kommt aus Peru­gia, man spielt sich zur Zeit etwas Wärme unter den Pan­zer. — stop

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28. August 2013 12:22