Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (10/11/12)

19. Juni 2015, ein Freitag

Am liebsten würde ich bis zu dem Wunder, auf das ich warte, durchschlafen. Immer dieser zähe Klumpen im Schädel. Um 16 Uhr zur Tortenschlacht zum Babylon-Kino, der Auftakt der Laurel&Hardy-Reihe. Nette Fotos. Dann Aikido.

Kitty hat auch an diesem Tag mein facebook-Winseln nicht beantwortet. Als ich online ging, meldete sie sich ab – ich sah noch gerade den grünen Punkt verlöschen. Mit zierlicher Anmut.

20. Juni, ein Sonnabend

Ich erhielt vom Rechtsanwalt die Abschrift der eingereichten Klage gegen die Zeitung, die mich nach 25 Jahren telefonisch ohne Abfindung entließ. Meine Schreiben von eigener Hand haben sie ignoriert, den Anwalt können sie nicht ignorieren. Auch erbärmlich, wie verächtlich dieses Arbeitsverhältnis endet.

Wieso gelingt es mir eigentlich dauernd, Leute gegen mich aufzubringen? Ich dachte lange, Kitty macht mich rasend. Das ist womöglich umgekehrt. Empirisch betrachtet reagieren lauter Leute auf mich nicht ohne Grund aggressiv. In diesem Alter ADHS?

22. Juni, ein Montag

Mond ging unter, Sonne riss auf. Schon beim Aufwachen muss ich den Kopfhebel bewusst auf Entspannung stellen, damit sich die einbrechenden Existenzsorgen nicht sofort zu einer handfesten Migräne verknoten. Zum anderen aber ist alles nicht unmittelbar existenzbedrohend und die große Sorge irgendwie auch ein Luxusproblem. Die miserable Gemütsverfassung ist auch Tribut an den gesellschaftlichen Anspruch, dass es zu Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht gut gehen darf, weil man sonst in Verdacht gerät, ein Schmarotzer und Hallodri zu sein. Schon aus Pflichtgefühl also geht es miserabel. Die Eltern fragen besorgt nach dem Befinden. Obacht, jetzt ist es soweit, jetzt wirst du ihnen peinlich! Das peinliche Berührtsein aber verschieben sie auf meinen erotischen Call-me-Kitty-Fotofilm, den sie selbst „auf gar keinen Fall ansehen“ würden, aber den ihre Enkelin bereits glaubwürdig als peinlich klassifiziert hat.

18. Juli 2016 10:04