Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (138)

28. Januar 2016, ein Donnerstag

Anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz liefen gestern einige Dokumentationen im Fernsehen. Trotz der abstoßenden Gemütlichkeit, in die die Grässlichkeit gebettet wurde, seit man für sie eine verlässliche Sprache gefunden hat (siehe das Klischee des Einfahrtgrauens: Kamera auf Schienen legen und langsam in Frontaltotale auf das Turm-Portal des Lagers zufahren lassen), blieb ich hängen und sah eine bemerkenswerte Doku über Claude Lanzmann, der erzählte, wie er Shoah drehte, nämlich zumeist als Partisan, das heißt: mit versteckter Kamera, mit Heuchelei, mit Lügen, mit gefälschtem Pass. 12 Jahre lang belog und betrog er alle um sich herum, um diesen Film fertigzustellen. Er war zuvor Widerstandskämpfer, schon mit 17 Jahren kämpfte er. So einer macht so was. Unglaublich. Natürlich größenwahnsinnig geworden, er, der langjährige Liebespartner von Simone de Beauvoir, der Kumpel von Sartre, der (gewesene) Freund von Marcel Ophüls.

Vorhin, in einer erbärmlichen Bäckerei mit einer gellenden Bäckereibeschäftigten, hörte ich einen derzeit populären Song, und im Teigschleimdampf knetete und wiederkäute ich einzig den zähen Gedanken, wie sehr Amerikaner doch den Klang ihrer Sprache lieben, während Deutsche dem Klang misstrauen (und ja meist keinen Dialekt mögen als den eigenen). Draußen ging es mir wieder besser. Las Punpun 12 von Inio Asano – immer wieder großartig, dieser Manga – allein im Zusammenspiel aus fotobasierter Grafik und manuellem Eingriff. Rätselhaft. Ich würde das auch gern können. Kann ich aber nicht. Genauso wenig wie singen. Sterben können, das wäre auch was, was ich gern gut könnte.

28. Januar 2017 11:42