Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (147)

10. Februar 2016, ein Mittwoch

Frau S. befiel während einer abendlichen Diskussion über das leidige Thema „Fleisch essen oder nicht“ eine mentale Übelkeit. Sie ging auf die Terrasse, ich hinterher, lockte sie auf das flache Dach: hinlegen, sterneschauen, weiteratmen.

Ich erzählte Frau S. meinen liebsten und meinen schlimmsten Traum, beide geträumt im Alter zwischen 20 und 30 Jahren: zum einen mein Heraustreten aus einem Hochhaus, dem Fahren mit dem Fahrrad auf hellem Kiesweg, dem Knirschen, dem Bretagne-Flair, dem Waldstück mit dem flachen Haus und den Liegen mit nackten Menschen mit Getränken und dem Ausruhen; und jener Traum aus wohl der gleichen Zeit: von unserer Familie in einer mexikanischen Gegend mit einsamer Kirche in windiger Steppe; mit der Schwester, die sich von der Portalspitze in die Tiefe stürzt und mit verrenkten gebrochenen Gliedern liegen bleibt, dann sich aufrappelt, wieder in die Kirche geht, wieder an der Spitze erscheint und sich wieder hinunterstürzt, immer wieder aufs Neue, so wie, so weit ich mich erinnere, auch die anderen Familienmitglieder. Das sind die bislang intensivsten Träume meines Lebens.

Dann Schlafen. Aber was für ein Geschlafe: ein Traum über das Haus von Helmut Schmidts Mutter (weder Haus noch Mutter sind mir bekannt). Man konnte sich diesem spitzgiebligen, grau-verputzten Häuschen auf einem schmalen Sandpfad nähern, der hinter dem Haus verlief. Man wusste, dass es Helmut Schmidts Mutter sei, die drinnen wohne. Keine erstklassige Gegend; vom Charme her eher Revensdorf. Ich wunderte mich sehr: Mitglieder der Schmidt-Familie, dachte ich im Traum, werden offenbar sehr alt, denn der verstorbene Helmut ist ja auch nicht mehr der jüngste gewesen – und die Mutter lebe also noch … so setzte ich den Spaziergang entlang der Zäune fort. Auslöser dieses Traums mag ein Foxterrier sein, der zu unserer Feriensiedlung gehört. Er heißt Loki.

10. Februar 2017 17:10