Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (155)

25. Februar 2016, ein Donnerstag

Bin wieder in Berlin. Etwas bedauerlich, dass ich das Ladegerät nach Lanzarote mitzunehmen vergaß, denn innerhalb der Doppelpaar-Dynamik ergaben sich immer wieder Vibrationen. Das Zweisamkeitsbedürfnis von Frau S. ist höher als meines. Das andere Paar, spürbar länger verpaart als wir, geriet in wunderliche Reizbarkeiten, angespornt durch unterschwellige Konkurrenz.

Lanzarote liebenswert zu finden, ist nicht schwer. Es hat Kliffe, Berge, Vulkane, Küsten, Grotten, eine Ortschaft namens Nazareth und viele Bewohner namens Jesus. Einer davon ist Aikido-Lehrer und betreibt ein sehr schönes und warmherziges Training.

Auf Lanzarote hat übrigens jemand anders mehr zu sagen als Jesús. Das ist César. Lanzarote steht fest im Bann des Lanzarote-Erfinders César Manrique. Um ihn wird ein seltsamer Kult betrieben. Seine obsolete 70er-Jahre-Kunst definiert das (künstlerische) Selbstverständnis der Insel. Manrique gilt als Vorreiter des naturverträglichen Tourismus, stak aber so tief in den 70ern, dass sein „Garten der Krebse“ heute irgendwie verhunzt wirkt. Ein echtes Scheißmuseum mit furchtbaren Räumen voller Diagramme und verblichenen Erklärungen. Hinwiederum apart: Kellner mit altmodischen Westen, womöglich vom Meister selbst geschneidert. Sie bedienen an Tischen mit monströsen Aschenbechern, die Generationen von Rauchern überleben werden. Fraglich, ob Lanzarote Manrique verträglich fand. Auch ohne ihn verfügt diese sehr wüste und verschüttete Insel über eine erfrischend robuste Natur: mondhafte Gesteinsfelder, pompöse Gischten, abenteuerliche Versandungen.

Peinlichkeit beim Bezahlen im Verwalterbüro. Die Vermieterin verlangte mehr, als unser Kontaktmann und Wahl-Lanzarotiner O. (auch er liebt übrigens einen Mann namens Jesus) gesagt hatte. Wir hatten also zuwenig dabei, nörgelten halbherzig, und man vertagte sich schmallippig auf den nächsten Tag, um die Nachzahlung zu leisten. Zu unserem Unglück kam aber unser Wahl-Lanzarotiner O. ins Gehege und wollte die Sache klären, schritt forsch aus unserem Bungalow ins Büro, schritt bald forsch aus dem Büro in unseren Bungalow und verkündete forsch, wir müssten tatsächlich nachzahlen. Zu dem unliebsamen Termin erbot sich Frau S., die ich aus einem unsinnigen Galanterie-Reflex heraus begleiten wollte, um als Adjutant meine Kavaliers-Pflicht zu erfüllen. So also betraten wir beide am Folgetag das Verwalterbüro, Frau S. flötete Entschuldigungen gegen die deutlich angepisste Vermieterin, die nun leider kein Wechselgeld hatte, sodass Frau S. zum Geldwechseln in den Supermarkt musste und mich, der ich als unsinniger Schattenmann hinter ihr gestanden hatte, als Geisel zurückließ. In dieser Wartezeit, bestimmt fünf Minuten lang, schwiegen die Vermieterin und ich, taten aber auch sonst nichts, sondern tasteten lediglich mit unseren Blicken die leeren Wände ab. Diese Zeit gehört zu den großen, ja: unvergesslichen Momenten der Verlegenheit.

Der Rückflug verlief ohne Erbrechen.

25. Februar 2017 18:30